Die Wiederkehr der Söldner

Die neuen Hunde des Krieges

Die Wiederkehr der Söldner

Militärisches Outsourcing: Privatisieren postmoderne Demokratien die Gewalt?

Wiener Zeitung, Januar 2015

125.000 Deutsche und Österreicher kämpften einst im Sold der französischen Fremdenlegion. Heute dominieren private Militärfirmen das globale Berufsfeld käuflicher Gewalt. Rechtsstaaten und Völkerrecht sind gefordert.

Regelmäßige Bezahlung oder die Aussicht auf Beute: Seit der Antike bestimmten Söldner das Kriegshandwerk. Ab der Französischen Revolution und der levée en masse wurden die vaterlandslosen Söldner in Europa durch rekrutierte Patrioten ersetzt. Mit der allgemeinen Wehrpflicht mussten die Soldaten in den Millionenheeren nicht mehr bezahlt werden, und Söldner wurden zur Randerscheinung in fernen Kolonialkriegen. „Eine Flasche Schnaps und eine Frau für ein paar Münzen“ regte nur mehr die Phantasie von verkrachten Existenzen an.

Armee der Namenlosen

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten nochmals viele raus aus dem kaputten Kontinent. Entwurzelte und Menschen mit dubioser Vergangenheit ergriffen die Chance, in die Anonymität der „Armee der Namenlosen“ abzutauchen. Die glorreichen Mythen der französischen Fremdenlegion wurden 1954 im vietnamesischen Dien Bien Phu zur Geschichte einer Niederlage. Geschätzte 8000 der rund 35.000 deutschsprachigen Legionäre in Indochina überlebten nicht.

Manche blieben dereinst Söldner und zogen zum nächsten Schlachtplatz in Algerien. Einer der Deutschen, der hier im Sold der Franzosen arbeitete und dann zum Welt-Krieger in dubioser eigener Sache wurde, war der berüchtigte Rolf Steiner. Von Alge-rien zog er als Freelancer über Biafra weiter in den Südsudan, wo er gefangen genommen wurde und gehenkt werden sollte. „Weißer Riese wartet auf den schwarzen Tod“, titelte ein Boulevardblatt. Siegfried Müller war ein anderer berüchtigter Haudegen. Der Spitzname „Kongo-Müller“ deutet auf das Betätigungsfeld des ehemaligen Wehrmachtssoldaten. „Wir haben für Europa gekämpft im Kongo, für Liberté, Fraternité und so weiter“, meinte er in einem Interview. Als Pensionist gründete er in Südafrika eine Firma für paramilitärische Einsätze. In seinem verfilmten Thriller „Die Hunde des Krieges“ hat Frederick Forsyth jene Art von Afrika-Söldnern literarisch verewigt.

„Sie wollen Ihre Vergangenheit hinter sich lassen, ein neues Leben beginnen?“ Noch immer gibt es die Website der Französischen Fremdenlegion auch auf Deutsch. 125.000 Deutschsprachige dienten in der Legion. In den 90er Jahren kamen kriegserfahrene Kampfhähne aus der zerfallenen Sowjetunion und Jugoslawien. Heute stammt das Gros der Legionäre kaum mehr aus den Wohlstandszonen Europas und kämpft – nach der Ausbildung im Dschungel Französisch-Guayanas oder der Wüste von Dschibuti – in Krisengebieten des globalen Südens. Kritiker sehen sie als Handlanger afrikanischer Despoten und dubioser Wirtschaftsinteressen in Biotopen, wo nicht Demokratie und gesamtstaatliche Strukturen gefördert werden, sondern Partikularinteressen.

In der europäischen Öffentlichkeit werden Söldner geächtet. Doch mit der Abschaffung der Wehrpflicht und der Einführung von Freiwilligen-Berufsarmeen im Auslandseinsatz verschwimmen die Grenzen. Spielt hier Idealismus – „die Verteidigung Europas am Hindukusch“ – oder Abenteuerlust und Selbsterfahrung die größere Rolle? Oder doch der beachtliche Sold? Sind die Auslagerung der Verteidigung und Heere aus bezahlten Kämpfern eine postmoderne Errungenschaft – oder Zeichen moralischen Verfalls?

Hunde des Krieges

Für ihren Bedarf im Irak- und Afghanistan-Krieg übernahmen die USA zunächst das Legionärsmodell und rekrutierten mittels Green-Card-Angeboten arme Lateinamerikaner. Längst aber machen moderne Sicherheitsfirmen aus Südafrika, den USA, Großbritannien oder Israel den einstigen „Hunden des Krieges“ im Berufsfeld käuflicher Gewalt Konkurrenz. Sicherheitsdienstleister nennen sie sich so bescheiden wie euphemistisch. Gegen gutes oder schmutziges Geld offerieren sie staatlichen und privaten Auftraggebern Personen- und Objektschutz, Ausbilder für komplexe Waffensysteme, Berater auf Ölplattformen oder Spezialisten gegen Piraten vor den Küsten Afrikas.

Technologisch aufgerüstet, bieten sie noch mehr. Manchmal soll – Beispiel Irak – ein funktionierendes Staatswesen aufgebaut werden. In sogenannten gescheiterten Staaten werden wiederum nicht nur Botschaften, sondern auch Investitionen wie Bergbaukonzessionen, Firmengelände, Konvois und Infrastruktur geschützt. Transnationale Unternehmen stehen im Generalverdacht, mit Warlords zu paktieren. Der manchmal als „Afrikanischer Weltkrieg“ bezeichnete zweite Kongo-Krieg hatte mit den Interventionstruppen aus neun Nachbarländern Merkmale eines Konzern-Stellvertreterkrieges.

„Drecksarbeit“

Neu ist das alles nicht. Schon in der Frühphase europäischer Expansion waren wirtschaftliche und militärische Unternehmungen verschmolzen. Handelskompanien füllten ihre Privatarmeen mit europäischen Landsknechten. Sie waren die Speerspitze bei der Kolonisierung. Auch militärische Vertragsfirmen heute handeln im mutmaßlichen Interesse der sicheren Zonen unserer Welt. Darüber hinaus offerieren sie technische, logistische und operative Unterstützung im (Anti-)Terrorkrieg. Oft bleiben die Hände der Ausbilder sauber. Mancherorts sind die energischen Spezialeinheiten dennoch Firmen für die Drecksarbeit.

In Afghanistan waren mehr Mitarbeiter von militärischen Dienstleistern tätig als US-Soldaten. Erstere bleiben nach dem US-Rückzug und kehren – Stichwort ISIS-Abwehr – auch in den Irak zurück. Auch auf der Gegenseite im vermeintlichen Kampf der Kulturen ziehen Religionskrieger von einem Kriegsschauplatz zum nächsten Konflikt, vom Hindukusch über den Irak und Syrien, Libyen bis Subsahara-Afrika. Die Erfolge der Gewaltstrategien steigern die Anziehungskraft auf junge Freiwillige diverser Provenienz. Die Mudschaheddin-Geister, die der Westen einst rief, sind heute ein Fluch, unter zunehmend beunruhigender Beteiligung von Dschihadisten aus Europa. Eine klare Trennung zwischen Freiwilligen und Söldnern ist kaum möglich. Asymmetrische Kriege nehmen zu, werden teilprivatisiert und entgleiten – wie etwa Syrien – jeder Kontrolle.
Kleinkriege in schwachen oder gescheiterten Staaten, wo Kindersoldaten-Milizen einzelnen Warlords dienen, sind noch keine globale Bedrohung, solange das Elend nicht Migrationsströme auslöst. Für Investitionen sind solche Konflikte eher kontraproduktiv. Wo ein internationaler Wille zur Lösung ist, da ist auch ein Weg, hat sich etwa beim Handel mit Blutdiamanten gezeigt.
Trotz einiger Schwächen hat das Kimberley-Abkommen den Diamantenschmuggel, mit dessen Erlös Konflikte finanziert wurden, beträchtlich erschwert. Bei anderen Bodenschätzen – beispielsweise Kongo-Coltan für Mobiltelefone – ist der Ressourcenfluch, die Verstrickung von Armut, Wirtschaftsinteressen und Krieg aber weiterhin Thema. Heute bezahlen wir Europäer die Afrikanische Union dafür, dass sie mit Truppen in manchen Unruheländern für Ordnung sorgt.
Auch in Lateinamerika, wie etwa in Kolumbien oder Mexiko, sind die Grenzen zwischen Drogenkartellen, Guerilla, korrupter Polizei, Bürgerwehren und einem gegenüber der ausufernden Gewalt hilflosen Staat fließend. Guatemala, in puncto Größe mit Österreich vergleichbar, hat 25.000 nicht immer vertrauenswürdige Polizisten – und 130.000 bewaffnete private Sicherheitsleute. Wer das nötige Geld hat, glaubt, sich und seine Kinder schützen zu müssen, von der Arztfamilie bis zum kleinen Ladenbesitzer.

Outsourcing: Privatisieren postmoderne Demokratien die Gewalt?

Eine schöne Hoffnung gehe davon aus, schreibt der kolumbianische Autor Héctor Abad, „dass sich der Staat nur zurückziehen braucht, und schon regelt die Zivilgesellschaft die Dinge selbst und errichtet eine Ordnung der Vernunft. Doch wir haben die Erfahrung machen müssen, dass die starken Männer vor Ort die Macht ergreifen und mit aller Brutalität ihre Regeln durchsetzen.“
Privatfirmen operieren oft wirtschaftlicher als der Staat, doch erspart das nicht das Nachdenken über die Grenzen des Outsourcing. Im Geschäft mit der Sicherheit in Österreich haben 400 Unternehmen eine Gewerbeberechtigung als Bewachungsunternehmen. Die Beaufsichtigung von Schubhäftlingen etwa kann als harmlose Dienstleistung im Fürsorgebusiness angesehen werden, oder als Symptom der Privatisierung staatlicher Gewalt.
„Das US-Militär war noch am angenehmsten bei den Verhören, die CIA war brutaler. Am Fürchterlichsten waren die privaten Sicherheitsfirmen“, sagten irakische Gefangene zu Manfred Nowak, dem UNO-Sonderberichterstatter für Folter. Im Irakkrieg war das US-Unternehmen „Blackwater“ zur mächtigsten Privatarmee weltweit aufgestiegen und entwickelte sich zum global agierenden Söldnerkonzern. Nachdem Blackwater ob der angewendeten, zeitweise fragwürdigen Methoden in Verruf geraten war, wurde es 2009 neutraler in „Xe Services“ umbenannt, 2011 verkauft und hieß fortan kultiviert „Academi“.
Auf ihrer Website präsentiert sich die Firma als „Sicherheitsdienstleister, mit in den herausforderndsten Gegenden der Welt erworbener Expertise. Das Weltklasse-Netzwerk der Company konzipiert maßgeschneiderte Lösungen für ihre Klienten in sensiblen und komplexen Milieus“.
Sicherheit als kundenspezifischer Markenartikel – was will der Auftraggeber mehr? Blackwater-Gründer Erik Prince preist in seiner 2013 erschienenen Inside-Story „Civilian Warriors“ seine Söldner als „unbesungene Helden des Anti-Terrorkrieges“ – eine Art Tempelritter des Guten, die, so meinte Prince kürzlich, auch Ebola bekämpfen könnten.
Weitere große Namen der Branche wie „DynCorp“ oder „MPRI/Engility“ sind nur mehr Insidern bekannt. Manche wie „Halliburton“ (heute: „KBR“) oder „Executive Outcomes“ – unter diesem klingenden Namen in Angola oder Sierra Leone berüchtigt geworden und in 30 Ländern aktiv – lösen sich auf, um unter anderem Namen wieder aufzutauchen. Rohstoff-Multis wie Rio Tinto, De Beers, Chevron oder Texaco gehören zu den Großkunden.
Die Führungskader der Schattenkräfte haben beste Kontakte zur Rüstungsindustrie. Der Rest des Personals sind nicht unbedingt tätowierte Desperados fürs Grobe – das Fußvolk wird oft billiger lokal rekrutiert. Die Profitruppen abseits von alten Legenden und Klischees sind Piloten, Veteranen von Eliteeinheiten zur Geiselbefreiung, Satellitenbild-Analysten oder Abhör-Techniker. Privatfirmen bieten ein Totalservice von Risikoanalyse, Überwachungssoftware, Radaraufklärung bis zu kompletter Kriegslogistik. Nicht nur der Anti-Drogenkrieg in Südamerika wurde so privatisiert.

Bildschirm-Planspiele

Unterschiedlichste kommerzielle Sicherheits- und Militärunternehmen haben heute 1,4 Millionen Mitarbeiter weltweit. Geschätzte 200 Milliarden US-Dollar werden in der nichtstaatlichen Sicherheitsbranche umgesetzt. Neben den traditionellen Militärakademien gibt es längst Privathochschulen für Risikomanager.
Auch Russland setzt angebliche Freiwillige in verdeckten Konflikten ein, um nicht ganz offiziell involviert zu werden, jüngstes Beispiel ist die Ukraine. Formelle Interventionen wie im Irak oder in Afghanistan nehmen in der neuen Geopolitik mit ihren teils seltsamen Allianzen – etwa Iran-USA – eher ab. Nicht nur Terror-Bedrohungen provozieren geheime Kommandoaktionen. Krieg wird zum Bildschirm-Planspiel, oder unter der Zauberformel „Outsourcing“ zur Dienstleistung ohne allzu großes Risiko. Diplomatische Verwicklungen werden reduziert, eigene Verluste verschleiert oder durch Drohneneinsätze minimiert. Regierungen brauchen sich weniger mit lästigen Medien und der sensiblen öffentlichen Meinung herumzuschlagen: Es gibt keine Bodybags mit Rekruten, kaum öffentliche Anteilnahme mit Gefallenen.

Kosten für Militärfirmen

Das US-Pentagon musste den Kongress nicht informieren, wenn die Kosten pro Vertrag mit einer Militärfirma unter 50 Millionen Dollar liegen. Laut Schätzungen des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI gehen über 100 Milliarden Dollar oder ein Drittel des US-Verteidigungsbudgets für Privatunternehmen an militärische Dienstleister. Weitere Auftraggeber sind Geheimdienste mit unklaren Verantwortlichkeiten und einer manchmal lockeren Beaufsichtigungs-Leine. Die Hälfte des rund 40-Milliarden-Budgets der US-Geheimdienste soll an Firmen gehen. Dafür, aber auch für die Bereitstellung von Intelligence und maßgeschneidertem Wissen an reine Privatkunden, sind diese mit Informationssystemen der Behörden vernetzt. Sie haben Zugang zu vertraulichen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Daten. In der Wachstumsbranche des privaten Kriegsgeschäfts wird Demokratie ausgehebelt.

Mit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht wird die Gesellschaft nur vordergründig gewaltfreier. Ein Rechtsstaat hat Interesse am Frieden, ein Militärunternehmen an zumindest ständig schwelenden Konflikten. Nicht nur Besatzungsarmeen, auch Private Military Contractors werden gegenüber der Justiz für immun erklärt. Die Kontrolle über diese Aktivitäten sei bestenfalls lückenhaft, beklagt das Internationale Rote Kreuz. Auf Sicherheitskonferenzen wird über globale Herausforderungen gesprochen, doch nicht über das Geschäft. Die diskreten Privatfirmen sind aus naheliegenden Gründen wenig auskunftsfreudig. Das Gewaltmonopol der Staaten – im Westfälischen Frieden 1648 etabliert – ist durch Outsourcing ausgehöhlt.

Montreux-Dokument

Etliche Sicherheitsdienstleister arbeiten auch mit UNO-Mandat. Sexueller Missbrauch, Menschenhandel, Korruption: In Bosnien und anderen Krisengebieten war das moralische Verhalten der Beteiligten nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Bei Verstößen werden Unternehmen und Angestellte kaum zur Verantwortung gezogen. Die internationale Gerichtsbarkeit hinkt hinterher, und das Völkerrecht in der neuen Weltordnung hat Nachholbedarf.

Die neutrale Schweiz – einst selbst Söldner-Quelle, deren folkloristischer Rest heute die päpstliche Garde ist – ergriff die Initiative. 2008 gab eine erste Gruppe von 17 Ländern – darunter Deutschland, China, Afghanistan, der Irak, Südafrika, die USA und Österreich – in Montreux eine gemeinsame Erklärung zum Umgang mit privaten Militärunternehmen ab. Ziel ist auch bei deren Einsatz die Achtung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Drei internationale Organisationen – EU, OSZE und NATO – und knapp 50 Staaten haben bis Anfang 2015 ihre Unterstützung angekündigt, darunter nur vier Länder Afrikas. Bisher hat das Montreux-Dokument allerdings nur den Charakter einer Empfehlung.

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Jeremy Scahill
Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen
Verlag Antje Kunstmann, München 2013
352 Seiten, 19.10 Euro

Erik Prince
Civilian Warriors. The Inside Story of Blackwater and the Unsung Heroes of the War on Terror.
Penguin Group, New York 2013
404 Seiten, 17.95 Euro

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