Die Hysterie um einen Namen

„Neurussland“ oder Mazedonien: Nationalismus rund um Namens-gebungen ist ein gefährliches Propagandainstrument.

Hysterie um einen Namen

Griechenland hat genug andere Baustellen und könnte einen Graben zuschütten

Der Standard, Februar 2015

Politische Spannungen in Europa steigen. Im ringsum metastasierenden Chauvinismus kommt Deutschland auf die Idee, Frankreich dürfe nicht mehr France heißen, denn Franken ist eine deutsche Region, Franzosen seien Gallo-Romanen, und überhaupt – Karl der Große war Deutscher.

Paris verlangt seinerseits von Großbritannien, es solle sich gefälligst umbenennen, denn die Bretagne sei eine französische Region und Grande Bretagne eine unverschämte Anmaßung. Die Insulaner mögen sich etwas einfallen lassen – genehmigungspflichtig durch Paris.

Absurde Hirngespinste? Wohl ja. Doch Vergleichbares ist am südlichen Balkan Realität. Für Außenstehende bleibt es schwer verständlich: Griechenland untersagt seinem nördlichen Nachbarland den Namen Mazedonien und blockiert EU-Beitrittsverhandlungen. Die neue Links-Rechts-Regierung in Athen signalisiert keine Entspannung, sondern Verhärtung.

Manche Länder wollen ihre Geschichte vergessen machen, andere erfinden sie neu. Ost- und Südosteuropa ist eine von Kriegen durchpflügte Region. Wenn die Gegenwart schwierig ist und auch die nahe Zukunft wenig verheißt, mag der selektive Rückgriff auf eine heroisierte Vergangenheit zwecks Identitätsstiftung stimulierend wirken, schürt aber Feindgefühle.

Mazedonien ist nicht unschuldig, stützt es sich doch auf ein höchst fragwürdiges Erbe. Als einzige Republik hatte es sich halbwegs friedlich aus dem jugoslawischen Staatsverband gelöst. Da – nicht nur, aber auch – durch die griechische Obstruktionspolitik die wirtschaftliche Entwicklung stockte, begab man sich rückwärtsgewandt auf Identitätssuche – und wurde bei Alexander fündig, hier der Mazedonier genannt. Gerade Alexander, der zwar als jugendlicher Held hoch zu Ross durch die griechische Glorifizierung eine Art Herold europäischer Kultur wurde – dessen Wüten bei seinem Feldzug bis ins heutige Afghanistan aber weniger präsent ist. Nun wird ihm auch in Skopje als Heros mit Weltgeltung gehuldigt.

Pathos und Paranoia

Geschmacklich höchst zweifelhafte Baudenkmäler in Bronze und Marmor schmücken mazedonische Plätze. Ein sechzehnzackiges Sonnensymbol – als Stern von Vergina von Hellas beansprucht – wurde zur Flagge der jungen Republik: für Athen eine Provokation. Die griechische Angst vor territorialen Ansprüchen mag historisch verständlich sein. Nach hellenischem Verständnis stellt bereits die Verwendung des Staatsnamens Mazedonien Diebstahl dar, ein Plagiat, zumindest eine Usurpation hellenischer Geschichte und Kultur. Es sind Helden- und Opfermythen in einem, aus denen sich jeder nach Bedarf bedient. Regierungen beider Länder missbrauchen den Namensstreit, um von internen Problemen abzulenken.

Es profitieren beide Seiten

Die Republik Mazedonien mit zwei Millionen Einwohnern ist ein Zwerg mit schwacher Wirtschaft, maroder Infrastruktur, wenig Investitionen. Obwohl Skopje den höheren Preis zahlt: Auch Athen entgehen Absatzchancen und eine stärkere Rolle am Balkan. Eine Streitbeilegung würde Saloniki als Hafen und Investitionsstandort zugutekommen. Griechenland hat mit Ränkespielen und Versagen bei Finanzen, Strukturpolitik, Bildung, aber auch bei der Bewältigung seiner Geschichte Züge eines gescheiterten Staates, der von korrupter Klientelpolitik zusammengehalten und gleichzeitig auseinanderdividiert wurde. Schuld an allem waren wechselweise Türken, Slawen, Briten, Amerikaner und jetzt die Deutschen, meint ironisch der Philosoph Nikos Dimou. Zu all seinen Nachbarn hat Griechenland ein eher schwieriges Verhältnis. Da bietet sich nun Russland als verständiger Verbündeter an, und es wird von der neuen Athener Regierung hofiert. Der politische Diskurs gerinnt zur Geschichte.

Im Symbol- und Denkmalkampf herrschen die gleichen Denkweisen – während etwa Karl der Große / Charlemagne mittlerweile als gemeinsamer Ahnherr Europas gilt. Man mag den bilateralen Namensclinch als balkanische Historienspiele abtun, doch verfügen diese über Sprengkraft.

Der Konflikt hat bislang allen Vermittlungsbemühungen widerstanden. In UNO und OSZE war Mazedonien 1993 mit der provisorischen, sperrigen Bezeichnung Ehemalige jugoslawische Teilrepublik (FYROM) aufgenommen worden. Republik Nord-Mazedonien war zuletzt ein schon fast akzeptierter Kompromiss. Doch Ende 2014 sind Verhandlungen dazu auf höchster UNO-Ebene gescheitert. Griechenland hat Milliarden an EU-Hilfe bekommen, ohne dass dies an eine (europa)politische Bedingung zu Mazedonien geknüpft war.

Die Zukunft Europas, das zusammenwachsen möchte, liegt in Zusammenarbeit und Toleranz, nicht in Nationalismus und Provokation: ein Gemeinplatz, während sich manche ethnopolitischen Gräben weiten. Power-Mediation – wie etwa für Bosnien 1995 – ist selten nachhaltig. Diplomatie ist auch eine Kunst des richtigen Moments. Zu zerstritten, zu schwach heißt es über die europäische Außenpolitik, auch zu aktuellen Krisen von Syrien bis zur Ukraine. Österreich, das Sanktionen gegen Russland skeptisch sieht und seine Balkanexpertise unterstreicht, könnte gute Dienste anbieten. Wir können die überreizten Streitparteien unterstützen und – ohne Besserwisserei – Verständigung durch Dialog einfordern, und fördern. Es liegt in unserem eigenen Interesse. (DER STANDARD, 11.2.2015)

 

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