Absprunghöhen

Melancholie in der Kurzform und gelegentlicher Wahnwitz
in handlichen Paketen

Absprunghöhen

Johannes Wally über das Scheitern an der Mittelmässigkeit

Glanz & Elend, Juli 2015

Trotz Alice Munro und Nobelpreis: Kurzgeschichten wie auch Erzählungen haben es hierzulande zumindest zwischen Buchdeckeln schwer. So werden sogar nur höchst lose verwobene Kurzgeschichtensammlungen von Verlagen lieber als »Roman« vermarktet – und sei es nur, um sich für einen Preis wie »bester Debütroman des Jahres« bewerben zu können.

Dennoch wagt sich der junge Österreicher Johannes Wally bewusst an die kurze Form. Vielleicht, weil er als Anglist an einer Universität mit ihren künstlerischen Möglichkeiten auch professionell vertraut ist. Dass ein versierter Literaturwissenschaftler nicht unbedingt ein herausragender Literat sein muss, wissen wir. Wally allerdings hat kurz nach Erscheinen einen ersten Preis für sein Debüt bekommen: Absprunghöhen, 13 Erzählungen, zum Teil bereits in Literaturzeitschriften erschienen, ergänzt bzw. unterbrochen durch drei Pakete an Kürzestgeschichten. Letztere sind teils absurde literarische Gedankenkonstrukte, und daher bewusst skurril überzeichnet.

Elternbeziehungen, Arbeitsplatz, Alltag, Liebe, große Träume und kleine Hoffnungen, und deren Verlaufen im sprichwörtlichen Sand: gute Literatur schöpft nicht unbedingt aus Extremen, oft im Gegenteil. Wally teilt Erfahrungen von meist Durchschnittscharakteren – auf eine Weise, dass für den Leser eine neue Erfahrung wächst. Manche der 13 Geschichten sind auf den ersten Blick einfach, beim zweiten raffiniert gemacht. In fast allen gibt es ein irritierendes Element. Gelegentlich ist die Brüchigkeit schon in den ersten Zeilen spürbar, manchmal erst im Nachklang, wieder andere entblättern ein ereignisloses Leben, erinnern in der Mischung aus Lakonie und magisch-surrealen Elementen an Haruki Murakami. In Szenen einer Verteidigung verliebt sich eine sehr alte Dame hoffnungslos in einen jungen Priester – bis schließlich eben dieser Pater Laurenz ihre Begräbnisfeier »mit Feingefühl und Heiserkeit« zelebriert.

Im Etui mit der Goldrandbrille spielt das namensgebende Futteral nur eine marginale Rolle. Es ist eine der schönsten und zugleich melancholischsten der 13 Geschichten. Der Ich-Erzähler berichtet lakonisch-heiter von seiner einstigen Liebe mit einer jungen Frau in einer anderen Stadt – und vom Ende der Fernbeziehung ohne Drama: es ist eher eine Schuld aus Unterlassung. Zurück bleibt seine unausgesprochene Scham, und eine dichte Traurigkeit.

Die Erzählperspektiven sind unterschiedlich, auktoriale, personale und Ich-Erzähler wechseln sich ab. In so mancher Geschichte verbindet Wally prägnant Beobachtungsgabe mit Wortwitz: »Die Häuslebauer kamen nicht gut miteinander aus. Sie begegneten einander mit Vorsicht und in Angst vor einer bösen Nachrede.« Manch kleine Alltagstragödie durchschnittlich unglücklicher Zeitgenossen kippt in die Komödie, und dann in die Farce. Die Tiefenschärfe dieser oder jener Figur bleibt dabei manchmal notgedrungen auf der Strecke.

»Ich bin nie mit einer Geschichte fertig«, sagte einst Raymond Carver, Amerikas exemplarischer Short-Story-Autor und Meister des literarischen Minimalismus. Am allerbesten ist auch Wally dort, wo er sprachlich am knappsten ist. In Anlehnung an Mark Twains Bonmot »Schreiben ist leicht – man muss nur die falschen Wörter weglassen” schleicht sich gelegentlich der Eindruck ein, manche Geschichte wäre noch packender, hätte der Autor den Mut gehabt, den einen oder anderen Satz zu straffen. Denn gerade die Sprachlosigkeit des Personals ist ein durchgängiges Motiv mehrerer Geschichten.
Der Titel Absprunghöhen steht so weniger für ein literarisches oder sprachliches Wagnis, sondern für den Mut der Protagonisten, aus ihrem Alltag auszubrechen – oder eben nicht.

Außer in In den Himmel für einen Sprung, wo ein Fallschirmsprung als Geburtstagsgeschenk eine periphere Rolle spielt, wagt kaum eine(r) der Männer und Frauen, wirklich abzuspringen oder auch nur ein größeres Risiko einzugehen. Schon Carvers Figuren gaben immer ihr Bestes – aber das war kaum je genug. Bei Wally sind es sind oft leise, subtile Schilderungen vom Scheitern an der Mittelmäßigkeit; und vom Rest, der bleibt, und mit dem wir uns dann auf Erden bescheiden müssen: einem Echo aus den Zeiten des Träumens, im besten Fall. »Sie hielt inne und schüttelte den Kopf, ohne recht zu wissen, worüber« lautet der letzte Satz einer der Erzählungen.

 

Johannes Wally
Absprunghöhen

Erzählungen
Leykam Verlag
228 Seiten

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