Gudrun Büchler

„Unter dem Apfelbaum“

Klang des Schweigens

Die Sprachmagierin Gudrun Büchler evoziert einen dunklen Sog

Der Standard, August 2015

Ungesund sei sie, die leidige Erinnerung, „sie frisst die letzten deiner grauen Zellen“.                                                                    Magda, Mathilda, Marlies, Milla, von der Großmutter bis zur Enkelin: niemand redet. Sie reichen Leerstellen wortlos weiter, bis sich das Trauma selbst als eigene Stimme in das Schweigen einnistet. Die besondere Wahrnehmung, die schließlich als Behinderung nach außen tritt, wird zur Erzählerin über vier Generationen. Sie misst die Zeit nicht in Sekunden, sondern in Atemzügen.

„Stumme Wände klingen anders als stumme Bäume als stummer Himmel als stumme Menschen.“ Milla, die taubstumme Jüngste der Genealogie, lächelt sich aus dem Körper. Ihr „verbliebener Rest atmete so flach, dass ein Spiegel kaum beschlagen hätte“. Zeiten kollern durcheinander, die Besonderheit erzählt einmal vibrierend, dann wieder lakonisch von Missachtung, Krieg, Vergewaltigung, Einsamkeit. Gebrochen wird die Sprachbeschwörung nur gelegentlich durch Erwachsenenworte jenseits des Verständnishorizontes der flüsternden Behinderung.

Der Septime-Verlag hat einige Sprachmagier aus Lateinamerika auf Deutsch zugänglich gemacht. Etwa den Chilenen Roberto Bolaño mit seiner Erzählung Labyrinth, noch bevor er mit ‚2066‘ posthum berühmt wurde. Gudrun Büchler, eine heimische Septime-Entdeckung, evoziert in der Scheinidylle unter dem Apfelbaum einen dunklen Sog, der im Leser das Bild von Edvard Munchs Schrei heraufbeschwört.

 


Gudrun Büchler, „Unter dem Apfelbaum“
Septime-Verlag, Wien 2014
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