Irena Brezna: Wie ich auf die Welt kam

Irena Brežná

Wie ich auf die Welt kam –
In der Sprache zu Hause

Fluide Identität unter Generalverdacht

Wiener Zeitung, März 2019Die in der Schweiz lebende Slowakin Irena Brežná setzt sich in klugen Essays und Reportagen mit dem Thema Migration auseinander.

Migrantenliteratur ist en vogue. Gleichwohl haftet ihr der manchmal schale Geschmack politischer Korrektheit an, und die prickelnde Erwartung auf exotische Welten, existenzielle Erfahrungen oder erlittenes Unrecht. Irena Brežná vermittelt mehr. Die gebürtige Slowakin kam nach der Niederschlagung des Prager Frühlings als Jugendliche in die Schweiz. Ihre Erfahrungen hat sie literarisch in „Die undankbare Fremde“ preisgekrönt verdichtet.

Im Essayband „Wie ich auf die Welt kam“ greift sie zunächst das so aktuelle Thema Migration und Inklusion nochmals auf und schafft mit wenigen Sätzen ein Panorama der Gefühlslagen von Emigranten, die – zu Zeiten der noch aufnahmewilligen Schweiz – emotional am Alltag im kühlen Paradies abprallen und sich einigeln.
Sie werden „in die geschlossene Anstalt der Menschenscheu gedrängt“, stehen unter Beobachtung, gar unter Generalverdacht. „Als wäre man lebenslänglich im Kindergarten und lernte Benimmregeln.“ Doch entwickeln sie dabei oft die besondere Sensibilität von aus ihrer Kultur herausgerissenen Menschen.

Brežná bleibt nicht in der Rolle einer Theoretikerin des Multikulturalismus oder der „professionellen Fremden“, die an Schulen auftritt. Sie setzt sich schreibend mit den Spannungen der Kulturen auseinander, erobert sich Deutsch, das in ihrer Kindheit und in russischen Filmen als Sprache der Nazis galt. Ihr „deutscher Wortschatz entmilitarisiert sich“. Sie navigiert zwischen Zivilisationen, spürt Mentalitätsunterschiede auf, liefert atmosphärische Analysen über Menschen und Systeme, über Widerständige, über Schmerz und Scham. Ausgehend von ihrer Prägung in der Diktatur, wo „verbotene Wörter Fledermäusen gleich im Dunkeln flogen“, wird ihr Blick später als Reporterin in der zerfallenen Sowjetunion „ebenso gefühlvoll verschmelzend wie gedanklich sezierend“.

In einer sibirischen Post-Gulag-Mafiawelt schenken Paten ihren Vasallen Strenge und Geborgenheit. Sie haben „alte Minderwertigkeitsgefühle und neues Geld, und können mit beidem nicht umgehen“. Der Autorin halten sie galant Türen auf und wollen ihr neben ihrer Tasche „ganz selbstverständlich auch die Last eigener Gedanken abnehmen“. In Tschetschenien steigt Brežná mit Neugier, Liebe oder Wut in menschliche Abgründe.

Die Erlebnisse als Kriegsreporterin drohen ihre Sinne zu sprengen, in ständiger Angst, ob nicht auch ihr Gedächtnis, ihr einziges Werkzeug, vor Überforderung kollabiert. In luzider Konzentration rettet sie Wahrnehmungen, friert diese mit Worten ein. Sprachliche Akrobatik erübrigt sich. Im Schreiben offenbaren sich ihr Bilder, die sie noch nicht kennt. Sie findet sich in der Welt zurecht, „indem ich sie mitgestalte“, ohne Hierarchie in der unmittelbaren Vermittlung von Alltag, Engagement, Krieg, Mut und Poesie. Nach ihrer Rückkehr aus Tsche-tschenien überfallen sie Brechreiz, Migräne und Schmerzen im ganzen Körper „wie von einer metallenen Kraft, die meine Haut von innen tätowiert“.

Die Beobachterin spannt den Reportagebogen über Westafrika zurück in ihr Herkunftsland – und in die Jetztzeit. „In der Ostslowakei, diesem Sizilien der Tschechoslowakei, haben die kommunistischen Clans die Macht immer noch fest in den Händen, schüchtern die Reformwilligen ein.“ Letztere aber geben nach dem Mord am Journalisten Ján Kuciak mit der Bürgerbewegung des „Slowakischen Frühlings 2018“ ein lautstarkes Lebenszeichen: aus Anstand wird Aufstand. Und die Autorin gibt wie nebenbei auch essayistische Einblicke, wie die scheinbar festgefügte Basis unserer Wohlstandsdemokratie plötzlich durch Migration und Populismus auf Treibsand erbaut scheint.

Fühlt sich Brežná nun als Slowakin, als Schweizerin, als Europäerin? Diese Art von Festlegung ist nicht Ihres. „Sich nicht am Boden niederzulassen, sondern den Schwebezustand auszuhalten, mag Integrationsfanatikern als bockige Verweigerung erscheinen.“ Ob eine „hybride, offene, fluide Identität“ zur „transnationalen Selbstverständlichkeit“ werden kann, bleibt offen.

 

Irena Brežná
Wie ich auf die Welt kam
In der Sprache zu Hause. Rotpunktverlag, Zürich 2018,  192 Seiten, 24,90 Euro.

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