Mariam Said

Mariam Said

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Mariam Said, Vizepräsidentin der „Barenboim-Said-Stiftung USA“
über das von ihr betreute West-Östliche Divan Orchester, die Rolle von Musik im interkulturellen Dialog, die Umbrüche in der arabischen Welt – und über die scheinbare Ausweglosigkeit im Nahost-Konflikt

„Unsere Prinzipien: Zusammenspiel, Gleichberechtigung“

(link zum Gespräch oben im Namen „Mariam Said“ über dem Photo)

Wiener Zeitung, September 2012

 

„Wiener Zeitung“: Frau Said, das West-Östliche Divan Orchester trat diesen Sommer zum wiederholten Mal in Salzburg auf. Es erhält in Europa, in Amerika, in Ostasien Applaus. Aber in der Region des Nahen Ostens tut es sich offenbar schwer.

Mariam Said: Ja. Wir haben zwar 2003 in Rabat gespielt, und 2005 unter größten Schwierigkeiten in Ramallah. Die Musiker mussten damals mit spanischen Diplomatenpässen anreisen, und wir konnten nicht einmal über Nacht bleiben. 2010 haben wir in Qatar ein Konzert gegeben, aber nur für geladene Gäste, die Herrscherfamilie, die Oberschicht, Diplomaten. Die Konzerthalle war nur halbvoll. Und die Situation wird schwieriger. Ein Konzert am Tahrir-Platz in Kairo ist geplant, aber sehr unsicher. Ägypten hat zwar den Friedensvertrag und vielerlei Zusammenarbeit mit Israel, aber leider diesen dummen Kulturboykott. Ägypten sollte eigentlich eine Brücke für die isolierten Palästinenser in Gaza, im Westjordanland sein.

Wird im Nahen Osten klassische Musik überhaupt als Teil der eigenen Kultur wahrgenommen? Gibt es einen Platz für sie?

Edward, mein verstorbener Mann, war immer gegen kulturelle Stereotype. Er hat gegen den Orientalismus gekämpft, einen scheinbar aufgeklärten, aber auch überheblichen westlichen Blick auf den sogenannten Orient. Er war von einem kulturellen Kanon überzeugt, einem gemeinsamen Erbe der Menschheit, der gelehrt und gelernt werden sollte. Klassische Musik gehört dazu. Natürlich gibt es immer wieder engstirnige Meinungen, auch unter Arabern: klassische Musik sei nicht Teil unseres Kulturkreises; und umgekehrt: Europäer oder Israelis könnten unsere nahöstlichen Musikinstrumente nicht spielen, sich nicht einfühlen. Das ist natürlich alles Unsinn.

Musik als völkerverbindende Kraft wird vielfach strapaziert.

So, wie wir in einem Orchester spielen, so benehmen wir uns in der Gemeinschaft. Unsere jugendlichen Musiker erleben Zusammenspiel und Gleichberechtigung. Das Orchester, aber vor allem auch unsere Musikerziehungsprogramme regen die jungen Menschen an, einander zuzuhören, sich zu öffnen, und dabei zu lernen, Erkenntnisse an die Stelle von Vorurteilen über den jeweils Anderen treten zu lassen – auch wenn sie nicht unbedingt mit der Sichtweise des Anderen einverstanden sind. Im Dialog werden sie herausgefordert, selbst zu denken, Widersprüche zu erkennen und vielleicht alternative Wege für eine festgefahrene Situation zu finden. Denken Sie an das Prinzip des Kontrapunktes: Die einzelnen Stimmen werden als selbstständige Objekte wahrgenommen. Das Endergebnis ist Harmonie auf einer höheren Ebene. Wir sind kein politisches, sondern ein kulturelles und humanitäres Projekt. Verständnis ist der Anfang, um tiefes Misstrauen abzubauen. Wir sind der Mikrokosmos einer Gesellschaft, die noch nicht existiert.

Ist aber nicht allein schon die Existenz des West-Östlichen Divan Orchesters schon politisch?

Das Orchester ist unser sichtbarstes Aushängeschild. Unsere Stiftungen kümmern sich um weit mehr. Die Musikausbildung steht an erster Stelle, dann der humanistische Aspekt, die Förderung von Toleranz und friedlichem Miteinander. Wir unterstützen eine Vielzahl von Projekten in der Region, für alle Altersstufen vom Kindergarten- bis zum Konservatoriums-Niveau, etwa in Ramallah, in Bir Zait, in Nazareth und Jaffa. Wir erteilen Unterricht, um Musik zu einem Teil des Curriculums zu machen. Einige Programme wenden sich besonders an Mädchen. Durch die Besatzungssituation gibt es an palästinensischen Schulen mehr Schließ- als Unterrichtstage.

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Edward war überzeugt, dass Erziehung, Bildung die Menschen ändern und eine ausgeglichene geistige, emotionale und soziale Entwicklung fördern können. Musikunterricht hilft den Kindern, sich zu konzentrieren, lehrt sie Disziplin, und lenkt sie gleichzeitig etwas von der Situation rundherum ab. Aber es soll keine Flucht vor der Realität sein.

Alle Menschen haben ein Bedürfnis, sich auszudrücken, besonders, wenn sie unter einer Besatzung leben. Etwa durch Theater, nicht nur in jenem von Juliano Mer-Khamis (kontroverser Israelisch-palästinensischer Theatermacher, der 2011 ermordet wurde, Anm.), oder eben über Musik. Die Kinder, die Musiker sind genauso wie alle anderen Menschen dieser Welt: Sie wollen sich verbessern, wollen etwas erreichen. Daniel Barenboim ist unendlich geduldig mit den Jüngsten, und fordert die schon etwas älteren Jugendlichen.

Wie ist die derzeitige Zusammensetzung im Orchester?

Ungefähr 40 Prozent Araber, 40 Prozent Israelis und 20 Prozent andere, in erster Linie Spanier, einige Türken und Iraner. Können und Talent sind die Kriterien für die Aufnahme. Da das künstlerische Niveau des Orchesters in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, hat sich die Rekrutierung von ausgezeichnetem arabischem Nachwuchs etwas erschwert. Ich versuche, mich speziell um die arabischen Musiker zu kümmern. Hoffentlich wird die Divan-Akademie in Berlin zur Ausbildung junger Talente 2015 verwirklicht.

Was ist die größte Herausforderung für das Orchester? Und was die größte Enttäuschung?

Die Politik der arabischen Regierungen. Nicht nur, dass wir als Orchester nicht auftreten dürfen. Es wird als Verrat betrachtet. Doch der kulturelle Boykott ist nachteilig für die Palästinenser. Wir sind nach Südafrika gefahren, nach Korea. Wir halten mit dem Simón-Bolívar-Jugendorchester in Venezuela Kontakt, einem beeindruckenden Experiment musikalischer Erziehung. Aber in unserer eigenen Konfliktregion erfahren wir die größten Widerstände. Musiker aus Ägypten haben Angst, dass sie nach der Rückkehr boykottiert werden, von der Entwicklung in Syrien gar nicht zu reden. Für viele auf der arabischen Seite tragen wir zur „Normalisierung“ bei – das ist ein schmutziges Wort geworden. Es wird als Kollaboration verunglimpft. Wir wollen als das gesehen werden, was wir sind – nicht als Werkzeug der Politik. Wir machen Musik – und fördern das Nachdenken. Doch der weltweite Zuspruch tut gut, und die internationale Unterstützung unserer gemeinsamen Anliegen ist wichtig.

Ändert der „arabische Frühling“ etwas zum Positiven?

Ich spreche lieber vom „arabischen Aufstand“. Er ist insgesamt ein Hoffnungszeichen. Daniel Barenboim konnte 2011 erstmals sogar in Gaza auftreten, wenn auch leider nicht mit unserem Orchester. Auch in Gaza sind die Extremisten in der Minderheit.

Sie kommen aus einer christlichen Familie. Sind manche Entwicklungen, etwa im Irak, selbst in Ägypten, zuletzt in Syrien, nicht auch besorgniserregend, vor allem für Minderheiten?

Seit der ottomanischen Zeit sahen die Christen der Levante Europa als potenziellen Protektor. Im Libanon war das speziell Frankreich. Bezüglich Syrien bin ich tatsächlich sehr besorgt. Der syrische Aufstand war weniger spontan als jene in Tunesien, Libyen oder Ägypten. Repressive Regime benutzen gerne Minderheiten für ihre Zwecke. Wenn das Regime fällt, geraten Minderheiten ins Visier, seien es Christen, Shiiten, Alawiten, wer immer. Sie bezahlen manchmal einen furchtbaren Preis. In Syrien sind sowohl eine jahrtausendealte Kultur als auch das friedliche Zusammenleben der Religionen tatsächlich bedroht. Ich hoffe, das Land wird kein zweites Somalia.

Fürchten Sie mit den Umbrüchen auch die Gefahr eines Rückschlags für Frauenanliegen?

Nein, nicht wirklich. Frauen werden eine zunehmende Rolle spielen. Schauen Sie in den Iran, wo Frauen bereits die Mehrheit der Studenten stellen. Selbst in der Moslembruderschaft sind Frauen höchst aktiv. Sie werden sich längerfristig nicht zurückdrängen lassen. Die Kopftuchfrage ist dabei ein leider hochgespieltes Nebenthema, ähnlich wie in den USA die Abtreibungsfrage.

Sie stammen aus einer libanesischen Intellektuellenfamilie. Ihre Mutter war eine frühe arabische Feministin?

(lacht) Ja – man könnte das so sagen. Sie hat in Amerika studiert. Doch waren die Leute allgemein, selbst im Nahen Osten in der Zwischenkriegszeit weit fortschrittlicher. Wir hatten damals die Al-Nahda, die arabische Renaissance, ausgehend von Kairo, über Beirut bis Damaskus. Meine verstorbene Mutter hat auch darüber geschrieben (Wadad Makdisi Cortas: „A world I loved“, in englischer Übersetzung bei Nation Books, New York erschienen, mit einem Vorwort von Nadine Gordimer, Anm.)

Was ist seither passiert? Auch wenn das vielleicht eine zu komplexe Frage ist.

Nach all den gescheiterten Ideologien sehen wir weltweit eine Zunahme rückwärts gewandter Strömungen. Religiös Konservative etwa in den USA, und eben auch im arabischen Raum. Arme werden dabei indoktriniert, um ihnen letztlich ihre Rechte zu nehmen.

Mit der umfassenden Globalisierung suchen Menschen wieder verstärkt nach Identität, sei es national oder religiös.

Libanesen waren seit dem Altertum gewöhnt, sich in der Welt zu bewegen. Ich bin nicht nur Libanesin, und in zweiter Linie Araberin, wie sich schon meine Eltern definiert haben. Ich bin auch eine Frau. Ich lebe in den USA. Ich bin eine Bürgerin dieser Welt. Ich fühle mich nicht auf eine einzige, enge Identität begrenzt.

Aber Sie haben Recht, es gibt auch Gegenbewegungen. Die neureichen Ölstaaten kombinieren Geld mit konservativer Religion. Saudi-Arabien unterstützt mit vollen Händen islamistische Initiativen. Gastarbeiter aus ärmeren arabischen Ländern werden in den Golfstaaten korrumpiert. Paradoxerweise gelten dann die traditionellen, toleranten Werte nicht mehr. Wir gehen durch schwierige Zeiten.

Sind Sie pessimistisch?

Für Palästina: ja. Im Moment. Der Irakkrieg, der unilaterale Rückzug Israels aus Gaza, die anschließende Blockade, die fortgesetzte Siedlungstätigkeit, der Mauerbau im Westjordanland, der Status Jerusalems – all das sind für Palästina Schritte einer äußerst negativen Entwicklung. Es scheint unumkehrbar. Edward träumte noch von einem gemeinsamen Staat. Das ist heute ausgeschlossen. Wir sehen vollendete Tatsachen. Ich werde wohl selbst keine Lösung mehr erleben, wo dieses Land – Palästina – in welcher Form auch immer gemeinsam genutzt werden kann.

Ihr Traum?

Dass wir einmal in Jerusalem spielen. Das klingt bescheiden, aber andere Träume, zumindest was Frieden in Palästina betrifft, erscheinen nicht verwirklichbar.

Zur Person

Mariam Said entstammt einer libanesischen Familie und hat in Beirut und New York studiert. Die ehemalige Bankerin betreut als Vizepräsidentin der „Barenboim-Said-Stiftung USA“ das Erbe ihres 2003 verstorbenen Mannes, des in Jerusalem geborenen amerikanischen Literaturwissenschafters Edward Said.

DSC05027Dieser hatte 1999 zusammen mit dem argentinisch-israelischen Musiker Daniel Barenboim und dem Generalbeauftragten der damaligen Europäischen Kulturhauptstadt Weimar, Bernd Kauffmann, das West-Östliche Divan Orchester gegründet. Zunächst als Workshop für junge Musiker aus Ländern des Nahen Ostens in Anlehnung an Goethes Gedichtsammlung ins Leben gerufen, will das Orchester seither einen interkulturellen Dialog ermöglichen und Erfahrungen der Zusammenarbeit unterstützen. 2002 ließ sich das Orchester auf Einladung der Regionalregierung von Andalusien in Sevilla nieder, wo es an das einst tolerante Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden anknüpft. Die Barenboim-Said-Stiftungen fördern musikalische Bildungsprojekte in Israel und Palästina.

Das West-Östliche Divan Orchester ist mittlerweile eine fixe Größe in der internationalen Konzertwelt. Es bemüht sich um Verständigung im Nahen Osten, sieht sich aber nicht als politisches, sondern als kulturelles und humanitäres Projekt. Musik soll scheinbar unüberwindliche Barrieren einreißen. Der einzige politische Aspekt ist die Überzeugung, dass es für den Nahost-Konflikt keine militärische Lösung geben kann. Der Dokumentarfilm über das Orchester, „Erkenntnis ist der Anfang“, hat zahlreiche internationale Preise gewonnen.

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