Janne Teller: Komm

Ideenklau, oder: Was darf Literatur?

Janne Teller: Komm

Glanz und Elend & Wiener Zeitung, Februar 2013

DSC02921Der Verleger sieht ihr nach, dann ihren Spuren im Schnee: Petra Vinter, eine Freundin, einst UNO-Mitarbeiterin in Afrika. Zögernd kehrt er zum Schreibtisch zurück, macht sich an seine Rede über »Ethik in der Literatur- und Verlagsbranche«, die er am nächsten Tag halten soll. Doch seine Gedanken wandern zum neuesten Manuskript eines Bestsellerautors auf dem Schreibtisch, das heute in Satz ging: ein viel versprechender Polit-Thriller, in dem die Protagonistin in Morenzao, einem fiktiven afrikanischen Krisenstaat, brutalste Gewalt erleidet. Das seien ihre Erlebnisse, hat ihm Petra Vinter eben gesagt, ihre Geschichte. Gestohlen. Vinter fühlt sich verraten, bloßgestellt. Doch sie hat dem Verleger nicht gedroht, nicht gefordert, das Buch dürfe nicht erscheinen, sondern nur leise gesagt: »Du hast die Wahl,« und ist im Schneegestöber verschwunden.

In einem inneren Monolog beginnt er zu feilschen, mit Petra Vinters Stimme, mit sich, über Erfolg, Moral, Grenzen. Der Vortrag, dessen Thema ihm noch vorher so theoretisch leicht erschienen war, hat plötzlich reale Schwere bekommen.

Darf ein Schriftsteller das Schicksal anderer Menschen abbilden? Ausbeuten? Die Ausschlachtung des Privaten war und ist Anlass für Prozesse. Doch auch Fotografen machen Bilder der Realität, auch Maler, sagt er sich. »Kunst ist nicht Wirklichkeit«, schreibt er nun in seine Rede, „Der Künstler schöpft aus der Wirklichkeit, um eine fiktive Reflexion darüber zu erschaffen.“ Er verstrickt sich in Selbstrechtfertigungen, »Alle Geschichten gehören anderen. Nicht einmal die Geschichte unseres eigenen Lebens kann erzählt werden, ohne dass gleichzeitig die Geschichte vom Leben anderer erzählt wird.«

Wer ist verantwortlich für das Geschriebene? Er, als Verleger? Der Autor? Der Markt? »Der Grad der Verantwortung sinkt im Quadrat der Anzahl der Menschen, auf die sie verteilt werden kann,« hat Petra Vinter gesagt. Und damit den gang rape mit 23 Tätern in Morenzao gemeint? Oder auch ihn, in seinem Dilemma?

Die einstige UNO-Mitarbeiterin hat doch selbst geschwiegen – aus politischen Gründen? Um den Friedensprozess in Morenzao nicht zu stören? Oder, weil sie stolz war? »In einem Land, das vom Krieg zum Frieden überging, und ich durfte dabei sein,« hatte sie gesagt. War da Platz für eigenes Trauma? Von dem sie nur einmal, bei einer Party erzählt hatte, eben dem Bestsellerautor, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Warum? Hatte sie da ihre Persönlichkeitsrechte preisgegeben?

»Ist das die Lehre, die wir daraus ziehen sollen? Dass Vertrauen nur missbraucht werden kann, weil man so dumm war, überhaupt Vertrauen zu haben?« hat sie ihm, dem Verleger, heute geantwortet. Eine rhetorische Frage.

Wer hat Macht, wer ist Opfer von Macht? Er ist verärgert über Petra Vinter, und arbeitet weiter an seinem Vortrag. Die Gedanken, die der belesene Verstandesmensch in seine Rede packt, sind scharfsinnig. Er sucht Entlastung in der Weltliteratur, bei Shakespeare, Balzac, Proust, bei Mann’s Buddenbrooks. Am Beginn seiner Karriere hätte er es abgelehnt, ein Manuskript zu veröffentlichen, dessen Geschichte von einem anderen gestohlen war. Und heute? Würde es halt ein anderer Verlag veröffentlichen. Obwohl. Das Manuskript des Bestsellerautors ist doch ohnehin nichts weiter als »ein leicht verkäufliches so-tun-als-ob«.

Was wird er also tun?

Er wägt Argumente, Gegenargumente, schaut in das »fiebernde Weiß« vor seinem Büro, verliert sich in Gedankenkonstrukte, umkreist sich selbst. Was ist aus ihm geworden, aus seinen einstigen Visionen? Aus seiner Ehe? Ein Zweckbündnis mit einer einflussreichen dänischen Politikerin. Er beginnt, mit sich zu hadern, mit seiner Frau, seinen Affären, seinem Leben. Er steigt über eine Wendeltreppe nicht in höchste Sphären hehrer Erkenntnis auf, sondern in einem zunehmend enger werdenden Kreis von Wiederholungen hinunter in seine eigene Vergangenheit, in die Tiefen vergessener Ideale. Sein geistreicher Essay über Kunst und Verantwortung droht zur Rechtfertigungssuada zu werden. Um ihn beginnen sich seine Frau, Liebhaberinnen, Petra Vinter zu drehen, während es vor dem Büro unaufhörlich weiter schneit. Die kalte Winterluft sollte ihm jene Klarheit bringen, die er sucht. Der gefallene Schnee deckt zwar zu, verwischt, lässt aber immer noch Konturen erkennen, nicht nur Petra Vinters Spuren, auch seine eigenen, seinen Verrat an Frau und Geliebten. Keine wohl gefeilten Formulieren in seiner Rede über Ethik in der Literatur helfen ihm aus seiner Identitätskrise.

DSC06288Janne Teller hat selbst für die UNO in Afrika gearbeitet und lebt heute in New York, Kopenhagen oder Paris. Mit den höchst kontrovers diskutierten, vordergründig finster-nihilistischen Jugendbüchern „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ und „Krieg. Stell dir vor er wäre hier“ hat sie sich einen Namen gemacht und ist zur internationalen Bestsellerautorin geworden. »Komm«, ihren nunmehrigen Erwachsenenroman geht sie klug an, und ambitioniert. Es geht nicht nur um verletzte Persönlichkeitsrechte und Ideenklau, oder die Frage »was darf Kunst«, sondern weit darüber hinaus um subjektive Wahrheit, Lüge und Fiktion, um geistigen Diebstahl, um Macht und Bereicherung, um Voyeurismus, Ausbeutung, Gewalt und Friedenssuche.

Richter, Hauptkommissare, Kriminalpsychologen greifen zunehmend Geschichten aus dem Leben und schlachten spektakuläre Fälle pseudo-literarisch aus, beklagte kürzlich der streitbare Bundesrichter Thomas Fischer in der Zeit: Der Geruch von Denunziation befremde.

Teller ist ein literarische Könnerin. Sie packt viel in den schmalen Band, fast zu viel. Der kurze Roman einer langen Nacht ist eine Kammerspiel-artige, sprachlich hoch verdichtete Novelle, die vom inneren Monolog über angedeutete Dialoge in einen philosophischen Essay mit einem Hauch Pathos gleitet. Vieles wird angerissen, so manches bleibt nur angedeutet, sowohl Textstellen des Manuskriptes, Petra Vinters Trauma, als auch Ereignisse aus der Biographie des Verlegers. Doch Teller schafft es wieder, im Leser große Fragen moralischer Dilemmatawachzurufen, die sie klugerweise nicht beantwortet – über Grenzen unserer Freiheit, über das menschliche Gewissen, das in jedem Beruf, ja im Leben schlechthin immer und immer wieder aufs Neue gefordert ist. »Wir haben Verantwortung für das, was wir beeinflussen können,« lässt sie Petra Vinter sagen. »In jeder menschlichen Handlung liegt der Keim zu den Handlungen vieler.«

Komm

Janne Teller
Komm
Roman
Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle
Hanser Verlag München 2012, 160 Seiten

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