Schreiben als Akt der Notwehr
Iris Hanika: Tanzen auf Beton
Wiener Zeitung, März 2013
Liebe, Musik und Reisen sind die Ingredienzien auch so manch seichten literarischen Konzeptes. Wenn die Autorin Iris Hanika heißt, kommt freilich kein Kitsch-Verdacht auf. Mit ihrem Roman „Treffen sich zwei“ war die in Berlin lebende Autorin 2008 immerhin auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
„Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse“ als Untertitel ihres neuesten Buches, „Tanzen auf Beton“, weist bereits die Richtung: Vom Droschl-Verlag als „Roman“ deklariert, ist es ein Hybrid aus verschiedenen Textsorten, ein „wüstes Buch“, wie die Autorin selbst meint, „zugleich Essay, Bericht, Feuilleton und Chronik“.
Ausgangspunkt des ungeordneten Tagebuches ist der bestürzte Rückblick der Ich-Erzählerin auf die Selbsterniedrigung in einer jahrelangen, geheimen Beziehung zu einem verheirateten Mann. In gewohnter Ehrlichkeit macht Iris Hanika kein Hehl daraus, dass die Protagonistin mit ihr selbst ident ist. Dabei wechselt sie die Erzählform nach Belieben. Die Sprache hebt vom Geschehen ab, schraubt sich hoch, schlägt Pirouetten über fremden Ländern, und landet wieder neben dem verlorenen Objekt der Begierde, neben dem sie nie sie selbst war.
Frau sein hieß: gar nicht sein. „Er wollte mich haben, darum hat er mich gekriegt. Ich habe mich da nicht eingemischt.“ Die Beziehung bestand aus schnellem, unbefriedigendem Sex, Warten und Hoffen.
In einer Fortsetzung ihrer Lacan’schen Psychoanalyse führt Hanika das „sich außerhalb der Sprache ereignende Unglück“ in Sprache über, und sucht dann das Glück jenseits der Worte. Sie wechselt im Erzählfluss Thema und Ton, und entdeckt dabei Musik, in diesem Fall Heavy Metal.
Musik also, die weit mehr als nur Hören ist: Rhythmisches Stampfen, Rausch, Hingabe – und Vergessen: den letzten Mann, die – versuchte – Vergewaltigung als Jugendliche, das eigene Selbst. Sie will jenseits der Worte gelangen, aber ohne Fiktion. „Gegen Ende der Analyse hatte ich begriffen, dass ich oft Vergewaltigung gespielt hatte.“
Selbstanalytische Romane gibt es viele, doch in Sprache und thematischem Zugang ist Hanika eine markante Stimme für die Generation der 40something inmitten ihrer Midlife-Melancholie. Sie changiert ungezwungen, ausgehend von Eindrücken über das Erleben zur Erforschung des Selbst, von der Erkenntnis über die experimentelle Erzählung zum Essay, unterbrochen von beiläufigen Episoden und philosophischen Exkursen. Weshalb es auch nicht leicht ist, ein Beispiel des „Hanika-Sounds“ aus dem Ganzen herauszulösen, das in fünf Kapitel getaktet ist, um die kunterbunt-anarchisch ausufernde Masse an Einsichten exemplarisch darzustellen.
Die Anekdoten und Schauplätze reichen von Tel Aviv bis Shanghai, und so manche Orte & Menschen sind schon aus Hanikas früheren Büchern bekannt. Wenn es mitunter trivial zugeht, ist das nur der Beweis, dass das Leben eben auch banal ist.
Episoden kommen in recht loser Reihenfolge, oft ist es ein eigenwilliger Mix unpolierter Fragmente. Erst in der Absichtslosigkeit mögen sich die analytischen Assoziationen für die Klientin in eigener Sache einstellen. Das ist oft locker lakonisch, manchmal erfrischend, gelegentlich erhellend.
Selten, aber mitunter doch, fragt sich der Leser, was der Gewinn daraus ist, wenn er allen Mäandern der Erzählerin in ihr Innerstes folgt. Fraglos ist die so intelligente wie sprachlich Begabte mutig, die Themen Begehren, Erniedrigung, Selbstwert und Selbstaufgabe in einer schonungslosen Ehrlichkeit anzugehen, die manchmal schmerzt.
Auf jeden Fall bleibt Iris Hanika der Eigenwilligkeit ihres Sprachzugangs in abgewandelter Form treu: neben einem neuen Mann, der wieder ihre „Begehrlichkeit weckt“, verliebt sie sich gegen Schluss auch in eine neue Sprache, diesmal die russische, und flicht Konjugationsreihen auf Kyrillisch in den Text.