Mythen und Moderne

Ayu Utami und Laksmi Pamuntjak

Mythen und Moderne

Indonesiens tabuisierte Vergangenheit

Wiener Zeitung, Oktober 2015

Indonesien ist Ehrengast in Frankfurt, und ein Gutteil der Schriftsteller sind weiblich: Herausragende Autorinnen haben seit dem Ende einer jahrzehntelangen Diktatur 1998 die Kulturlandschaft aufgemischt. Sie schreiben über ein Land im Aufbruch, das ein Trauma mit sich trägt – 1965:  Das Gespenst des Kommunismus ging in Südostasien um und verschmolz in Indonesien mit Chinesenhass. Militärs, muslimische Todesschwadronen und Dorfmilizen wüteten, von einer halben bis über einer Million Toten reichen die Schätzungen – der unbekannteste Massenmord des letzten Jahrhunderts.

Laksmi Pamuntjak, Javanerin des Jahrgangs 1971, lüftet in „Alle Farben Rot“ den Schleier des Verschweigens. Der Roman wurde 2012 vom führenden Magazin Polit- und Kulturmagazin Tempo zum Buch des Jahres gewählt.

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Rot, die Farbe der Liebe, der Linken, von Feuer, Gefahr und Blut, im Hinduismus aber auch die Farbe der Reinheit, der Freude. Laksmi Pamuntjaks eigener Vorname ist indisch, so wie auch jener der Titelhelden ihres Romans: Amba, eine bereits einem anderen Mann versprochene Studentin verliebt sich 1965 in Bhisma, einen idealistischen Arzt. Im Zuge der Säuberungen verschwindet Bhisma

Liebe und Schrecken in Indonesiens Schattenspielen und bei Laksmi Pamuntjak.

Erst Jahrzehnte später findet Amba den Mut zur Spurensuche. Ihre Reise ist eine Reise gegen das Vergessen, das vordergründig bequemer scheint: persönlich und kollektiv. Die ausgebildete Pianistin Pamuntjak nähert sich dem Thema sinnlich-sensibel, und verschließt sich einfachen Erklärungsmustern. Sie spürt den Wurzeln der Gräuel jener Jahre nicht nur im politischen System nach, sondern geht ihnen buchstäblich auf den Grund: in uns Menschen, und erst dann in der Vereinnahmung durch Mächtige und Ideologien. Unterlegt ist Ambas und Bhismas Geschichte mit dem Mahabharata, dem im synkretistischen Islam Javas weiter lebendigen indischen Epos. Omnipräsent in Puppen- und Schattentheatern, geht es um die Urkonflikte von Göttern und Menschen, um Liebe und Eifersucht, um den steten Kampf Gut gegen Böse, auch in uns selbst.

Pamuntjak ist nicht die einzige erfolgreiche Autorin und mutiges Idol einer neuen Generation. „Wenn hier jemand von Literatur spricht, ist immer von Ayu Utami die Rede“, weiß Martin Amanshauser, einer der wenigen heimischen Autoren mit Bezug zu Indonesien. Utamis Debütroman „Saman“ erschien wenige Tage vor dem Sturz der Suharto-Diktatur 1998 in Jakarta – und wurde zum literarischen Boten der Reformasi, des Wandels zur Demokratie. Mit dem inneren Ringen des jungen katholischen Priesters Saman und seiner Unterstützung von Bauern im Kampf gegen Landraub durch Agrobusiness und Armee verband Utami das Persönliche mit dem Politischen. Mit explizit-unverblümter Sprache und provokanten Themen wie weibliche Sexualität, rassische und religiöse Unduldsamkeit wurde sie zur Tabubrecherin in ihrer mehrheitlich muslimischen Heimat.

Larung  ist die Fortsetzung von Saman. Utami bleibt ihrer wilden Fabulierkunst treu, die so anregend ist wie der Plot verästelt. In einem Dorf pflegt der Medizinstudent Larung seine Großmutter, die 1965 die verfolgte Familie gerettet hatte und auf Grund magischer Kräfte nicht sterben kann. Erst mittels Gegenzauber kann sie gehen – was man profan auch Sterbehilfe nennen kann. Nach einem Zeitsprung nach New York mit dem schon aus Saman bekannten Personal und Sex-and-the City-Anklängen kehrt die Handlung nach Indonesien zurück. Saman, der Priester, Larung, nunmehr Umweltaktivist, und drei weiterer Männer bereiten deren Flucht ins Ausland vor – die tragisch scheitert. Multiperspektivisch verwebt Utami das ländliche Indonesien und die USA.

Utami gibt den Menschen Stimmen, den Seelen, den Tieren, sie kommentiert, provoziert. Auch in Larung spielt Sex eine Rolle, der Islam, das Christentum, hinduistische Vorstellungen und Geisterglaube.

DSCN1950Utami kombiniert Rationalität mit javanischer Spiritualität, die Teil des „sanften Islam“ in Indonesien ist. Doch sie gibt sich keiner Illusion hin, dass Harmonie und Toleranz gesichert sind. Die Reformasi-Bewegung im größten muslimischen Land der Welt ermöglichte nach 1998 einen fast reibungslosen Übergang zur Demokratie, „vor allem im Vergleich zum arabischen Frühling“, sagte Utami im August bei einem Vortrag an der Universität Wien. „Doch die jungen Leute wollen Klarheit. In oberflächlicher Weise können Dogmen das erfüllen.“ Dogmatismus sei kein mittelalterliches Phänomen. Er passe wunderbar in die Postmoderne. Gegen Fundamentalismus und Gewalt vertritt die Romanautorin, Lyrikerin und Essayistin Ayu Utami eine “kritische Spiritualität”. Religion und kritisches Denken schließen sich für sie nicht aus.

Ayu Utami und Laksmi Pamuntjak verbinden in ihren Romanen die Mythen indonesischer Kultur mit der modernen Welt. Beide sind spannende Entdeckungen aus dem kulturell vielgestaltigen Inselreich.

Ayu Utami
Larung
Deutsch von Peter Sternagel
Horlemann Verlag, Berlin 2015
200 S., € 20.50

Laksmi Pamuntjak
Alle Farben Rot
Deutsch von Martina Heinschke
Ullstein Verlag, Berlin 2015
672 S., € 24.70

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/literatur/779201-Mythen-und-Moderne.html

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