Ulrike Schmitzers Roman „Die gestohlene Erinnerung“
Erhellende Fluchtgeschichte
Wiener Zeitung, Jänner 2016
Deutschen Fluchtgeschichten haftete oft ein Nazi-Ruch an, ein Braunschleier lag über der Aussiedler-Herkunft. Der Essayist Karl-Markus Gauß hatte längst sensibel über Minderheiten Südosteuropas geschrieben, bevor er in die verlorene Heimat seiner Eltern reiste: „Eine rätselhafte Scheu hielt mich davon ab, der ich doch von der Geschichte dieser Region als Kind erzählt bekommen und die Namen der Dörfer und kleinen Städte, Kikinda und Palanka, Kubin und Filipowa wie in einem Zauberspruch hersagen konnte.“
Auch Ulrike Schmitzer, wie Gauß Salzburgerin aus einer Familie von Donauschwaben, mied die Flüchtlingsherkunft der Familie. Vielmehr beschäftigte sie – bzw. ihre Ich-Erzählerin – sich mit Gewalt in Guatemala, mit Unrecht in Uganda: „Ich meinte, etwas völlig anderes zu tun, und kreiste doch immer nur um ein Thema.“ Erst als Mitt-Dreißigerin macht sie sich in die Gegend ihrer Vorfahren auf, gemeinsam mit ihrer Mutter, die als Kind vertrieben worden war.
Die sommerliche Fahrt voll absurder Situationen führt beide nach Nordserbien – und in die Vergangenheit. Mutter und Tochter begeben sich auf Spurensuche zwischen Distelfeldern, Friedhöfen und umbenannten Ortschaften, ausgestattet mit Omas Erinnerungen auf Tonbandkassetten im Auto, als Orientierung durch Raum und Zeit.