EU und Afrika: Migration und überholte Konzepte

Mit seiner Kolonialgeschichte und dem Wohlstandsgefälle ist ein Beitrag Europas zur Entwicklung Afrikas ein moralischer Imperativ. Doch Schuldgefühle allein ergeben keinen guten Businessplan.

EU und Afrika: Migration und überholte Konzepte

Der Standard, November 2017

Und wieder treffen sich die Chefs von EU und Afrika. Frieden und Sicherheit sind kommende Woche in Abidjan die vollmundigen Themen; Investitionen und Handel, Demokratie, Menschenrechte – und Migration. Letzteres überschattet alle anderen. Mit seinem abschreckenden „extra-territorialen Migrationsmanagement“ wolle die EU wenig zimperliche Potentaten als ausgelagerte Türsteher Europas anheuern, warnen Kritiker. Weg vom Mittelmeer – aus dem Auge, aus dem Sinn.

Klassische Entwicklungspolitik

Beim Ziel „Fluchtursachenbekämpfung“, dh. die Perspektiven junger Afrikaner verbessern, herrscht Einigkeit. Über das „Wie“ weniger. Mit der brutalen Kolonialgeschichte und dem eklatanten Wohlstandsgefälle war Entwicklungszusammenarbeit für Europa ein moralischer Imperativ. Doch Schuldgefühle allein ergeben keinen guten Business-Plan. NGOs leisteten mit engagiertem Personal Pionierarbeit und fördern lokale Initiativen. Rasante Fortschritte allerdings wurden in Asien erzielt, kaum in Afrika, dem Hauptempfänger von Entwicklungsgeldern – seit 1960 die Summe von sechs Marshallplänen, stellt der skeptische Ghanaer George Ayittey fest. Die Stimmen afrikanischer Kritiker wie Dambisa Moyo („Dead Aid“) oder James Shikwati („Fehlentwicklungshilfe“) ähneln einander in zentralen Punkten: Nach zwei Billionen Dollar an Entwicklungsgeldern stehe Afrika schlechter da als zu Beginn der “Almosenindustrie”. Der Kontinent bewege sich in einem Hamsterrad aus Abhängigkeit und Korruption.

Weniger um Transferzahlungen geht es, als um faire Handelsbedingungen, lautet die aufgeklärtere Version europäischer Bringschuld. Die schwankenden Weltmarktpreise von Afrikas Erze wie Coltan oder Kobalt für Handys und Batterien haben sich zT vervielfacht – doch sie verfestigen Abhängigkeiten, alimentieren Eliten, schüren Konflikte und helfen ohne Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Industrie kaum der breiten Masse. So bleibt der Kontinent Geisel der Rohstoffe. Dass Bildung, speziell für Frauen, der nachhaltigste Weg für Wirtschaftswachstum und verlangsamte Bevölkerungszunahme ist, haben Länder wie Thailand binnen einer Generation bewiesen. Doch müssen die Frauen dann adäquate Arbeitsplätze finden. Liegen mögliche Lösungen weniger in europäischer Besserwisserei als in asiatischen Modellen?

Asiatische Modelle?

Chinas Aufstieg ist ein entwicklungspolitisches Reizthema: Peking agiere als egoistischer Ressourcensicherer und reiße sich – Stichwort “Land Grabbing” – ganze Länder unter den Nagel: Ackerland werde Bauern entzogen und treibe diese in die Slums der Städte. „Hartnäckige Internet-Mythen“, schreibt die Expertin Deborah Brautigam in „Will Africa Feed China?“. Gerade einmal 2500 km² habe China erworben.

Bei der Suche nach Schuldigen geraten Ursache und Wirkung durcheinander. Afrikanische Slums explodieren, weil die Bevölkerung dank besserer Gesundheit exponentiell gewachsen ist und die traditionelle Wirtschaft eine rasant wachsende Bevölkerung nicht aufnehmen kann. Afrika ist nicht wegen der Globalisierung arm, sondern weil der Welthandel am Kontinent vorbeifließt. Sein Anteil lag 1948 bei 7,4%, heute bei 2%, ohne Nordafrika und der Republik Südafrika gar nur bei 0,8%. Und Stichwort regionale Wertschöpfungsketten: kaum ein Sechstel ist innerafrikanischer Handel.

Die lange zu Recht kritisierten EU-Agrar-Exportsubventionen nach Afrika gibt es nicht mehr. Die neuen Economic Partnership Agreements der EU erlauben Afrika überdies Marktschutzmaßnahmen. Ghana erhöhte die Zölle auf Geflügelfleisch; Nigeria, Kamerun oder Senegal haben den Import verboten.

Gerne projizieren wir unsere Vorstellungen von feinen Bio-Märkten auf Afrikas ländlichen Raum. Als habe Asiens grüne Revolution – besseres Saatgut, Bewässerung, auch ohne Glyphosat-Einsatz – nie stattgefunden, betreibt Afrika großteils Subsistenzlandwirtschaft, die den Kontinent kaum ernähren kann. Afrika könnte asiatische Erfahrungen gut gebrauchen: Thailand allein exportiert mehr Agrarprodukte als ganz Subsahara-Afrika zusammen.

Trauen wir Afrika Rechtsstaatlichkeit und Unternehmertum zu?

Entwicklungspolitik sah in China oder Brasilien Direktinvestitionen vor, während Afrika hilfsbasierte Politik zuteil wurde. Eine Kultur der Ausgrenzung wurde geschaffen: Selbstversorgung statt Diktat der Märkte, Fair Trade als einwandfreies Modell. Small mag beautiful sein, aber nicht immer helpful. Was Afrika benötigt, sind Investitionen, die Technologie und Jobs bringen, meint selbst Joseph Stiglitz, einst Kronzeuge der Globalisierungs-Kritiker. Es brauche keine neuen Geschäftsmodelle, sagte der Unternehmer Mo Ibrahim kürzlich beim 5. Africa-CEO-Forum: „Wir müssen nur Korruption und staatliche Misswirtschaft loswerden, und stattdessen Rechtssicherheit schaffen“.

Investitionen statt Almosen

Kein Zwanzigstel an ausländischen Direktinvestitionen weltweit entfällt auf Schwarzafrika. Doch China bestreitet dort mittlerweile mehr als EU und USA zusammen. Skeptiker wittern skrupellose Ausbeutung der Bodenschätze, neue Umweltdesaster, Lohndumping, Kinderarbeit. Klar – Peking stillt seinen Rohstoffhunger, will Absatzmärkte und inszeniert sich als weise Weltmacht. Länder wie Äthiopien oder Ruanda nehmen die Angebote gerne auf, statt sich von Europa bevormunden zu lassen.

Private Investoren schauen genauer, was mit ihrem Geld geschieht als EU-Staaten, die gegenüber ihren Steuerzahlern selten nachweisen können, dass die Aufwendungen auch tatsächlich nachhaltig sind. Und ausländische Unternehmen sind in Afrika oft attraktivere Arbeitgeber als einheimische. Die Vernetzung lokaler Technologie-Start-Ups schafft neue Dynamiken, etwa im „Silicon Savannah“ in Kenia. Marktwirtschaft bleibt das effizienteste System zur Schaffung von Wohlstand, aber nicht allein das beste für dessen gerechte Verteilung. Ungezügelter Raubtierkapitalismus ohne Rechtsstaat ist überall verheerend, doch Abschottung festigt archaische Strukturen.

Mehr, nicht weniger Globalisierung

Asiens wachsende Bedeutung führt zum verstärkten Erfahrungsaustausch Süd-Süd. Was uns aber nicht unsere politische, technische und finanzielle Mitverantwortung abnimmt, für Herausforderungen wie den Klimawandel; durch Setzung globaler Regeln bei Steuer- und Kapitalflucht – auch in Afrika ein Imperativ; oder bei weltweiten Umwelt- und Verhaltenskodizes, etwa beim Coltan- oder Kobalt-Abbau. Multinationale Unternehmen aus Asien müssen ebenso in die Pflicht genommen werden, inklusive ihrer lokalen Zulieferer. Auch bei Konfliktverhütung und den Flüchtlingen aus dem Südsudan in Uganda, aus Somalia in Kenia etc. ist internationale Unterstützung unabdingbar. EU-Geldzahlungen an dubiose Partner, um uns junge Afrikaner weit vom Leib zu halten, sind kaum nachhaltig. Nicht nur globale Warenströme, auch universelle Werte müssen die Modernisierung prägen. Europas Konsumenten und die Zivilgesellschaft sind ebenso gefordert. Ethik und entsprechende Politik haben nicht ausgedient.

Gunther Neumann ist Vizepräsident des Kelman Institute for Interactive Conflict Transformation. Er hat mehrere Jahre im Auftrag von EU, Uno und Rotem Kreuz für Entwicklungs- und Demokratieprojekte in Afrika und Asien gearbeitet.

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