Schlechtes Gewissen ist kein guter Ratgeber

Europa stellt sich gerne an den Pranger

Schlechtes Gewissen ist kein guter Ratgeber

Können Fluchtursachen durch verstärkte EU-Unterstützungen angepackt werden? Eine nachhaltige Strategie bleibt eine Herausforderung

Die Presse, Dezember 2017

Adventszeit ist Spendenzeit – wir versichern uns unserer Menschlichkeit. Gleichzeitig erhitzt die Migrationsdebatte auch im Winter die Gemüter. Was liegt da näher, als unsere Empathie mit dem Ziel zu verbinden, Fluchtursachen in Afrika nachhaltig anzugehen?

Moralisch scheint die Sache eindeutig: In weiten Teilen des Kontinentes herrschen miserable Bedingungen. Wir sind – so die Grundannahme – verantwortlich: wegen des Kolonialismus einst, einer ungerechten Weltordnung und unseres Lebensstils heute; Lebensmitteldumping und Landraub zerstöre Agrarstrukturen, Waffenexporte heizten lokale Konflikte an, Schutzzölle schotten Europas Märkte ab, nur Afrikas Bodenschätze würden geplündert. Aber schlechtes Gewissen ist selten ein nützlicher Ratgeber. Auch im Entwicklungsdiskurs ist das Gegenteil von gut manchmal nur gut gemeint.

Mehr vom selben?

NGOs wie hierzulande CARE oder Horizont 3000 leisten mit hochmotiviertem Personal Pionierarbeit jenseits unserer Komfortzone, oft finanziert durch Spenden. Entwicklungshilfe sei die Umverteilung des Geldes der Armen aus den reichen Ländern an die Reichen aus den armen Ländern, ätzte der Ökonom Peter Bauer. Was stark verkürzt ist: Bei der Ausrottung von Geiseln wie Polio oder Pocken war sie nachweislich erfolgreich. Gerade mit NGO- und UNO-Unterstützung ist die Mütter- und Kindersterblichkeit in den letzten Jahren rasant gesunken – was auch bedeutet, dass sich in 25 Jahren Afrikas Bevölkerung verdoppelt hat. Nun will auch die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS die Geburtenrate bis 2030 auf drei Kinder pro Frau drücken.

Marshallplan für Afrika?

Das Schlagwort eines „Marshallplans für Afrika“ macht weiter die Runde. Seit 1960 allerdings floss die Summe von sechs Marshallplänen nach Afrika, merkt der Ghanaer George Ayittey an. Der Löwenanteil an Geldern ging nicht in nachhaltige Projekte, sondern in Zuschüsse für – gelinde gesagt – korruptionsanfällige Autokraten.

Europa stellt sich gerne an den Pranger. Wir fühlen uns für alles schuldig, was nicht gut läuft. Doch zu Recht kritisierte EU-Agrar-Exportsubventionen nach Afrika gibt es nicht mehr. Die neuen, asymmetrischen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ermöglichen nur Afrika, nicht der EU Marktschutzmaßnahmen, etwa Zölle oder Verbote für Geflügelimporte.

Lange war die EU der wichtigste Projektansprechpartner Afrikas. Heute thematisieren wir wie ein Mantra das Übel Globalisierung, ja das Ende des Kapitalismus, statt seine Erfolge und Möglichkeiten zu diskutieren, beobachtet Hans Stoisser, Entwicklungsexperte mit jahrzehntelanger Afrika-Erfahrung: Die Entwicklungszusammenarbeit sei die letzte Bastion der Planwirtschaft. „Wir glauben, mit Slogans wie ‚Lokal statt Global‘ die komplexen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen zu können“, warnt Stoisser.

Zuwenig, nicht zu viel Globalisierung

Marktwirtschaft und Globalisierung haben in Südostasien nicht Elend geschaffen, sondern abgefangen: Statt Entwicklungshilfe haben Investitionen und eine gesunkene Geburtenrate zu einem massiven Rückgang der Armut geführt. Afrika ist nicht wegen der Globalisierung zurückgefallen, sondern weil der Welthandel am Kontinent vorbeifließt. Sein Anteil betrug vor 70 Jahren fast 8%, heute nur noch ein Viertel, ohne Ölländer und der Republik Südafrika gar nur 0,8%. Afrika ist in der Rohstofffalle gefangen: Einseitige Ressourcenschürfung bedeutet Bereicherung lokaler Eliten und wirtschaftliche Stagnation. „Faire Preise“ allein ändern daran wenig. 200 Millionen junge Afrikaner suchen in den kommenden 10 Jahren Jobs – laut McKinsey sind aber in 5 Jahren kaum 20 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden.

Herausforderung China

Wer heute von Afrikas Entwicklung spricht, spricht von China. Peking investiert – nicht uneigennützig – in Afrika mittlerweile mehr als EU und USA zusammen. Autokratisch regierte Länder wie Äthiopien oder Ruanda nehmen die Angebote gerne auf und verweisen auf neue Straßen, Bahnlinien, Häfen. „China repräsentiert eine außergewöhnliche Herausforderung für das westliche Model“, meint der indische Essayist Pakaj Mishra: „Entwicklung wurde ohne Demokratie erreicht.“

Europa bleibt in Afrika zögerlich, obwohl die EU verstärkt Risikobürgschaften für Investitionen übernimmt. Mit Knowhow etwa bei Wasser, Abwasser, Müll, Energie hätten die „Hidden Champions“, mitteleuropäische, auch österreichische Mittelbetriebe Chancen. Von deutschen Exporten landen kaum 2% in Afrika, die Hälfte davon in Südafrika.

Ausländische Unternehmen sind in Afrika meist attraktivere Arbeitgeber als einheimische. Die Vernetzung mit lokalen Start-Ups schafft Chancen, Cluster entstehen. Subsahara-Afrika hat heute 800 Millionen Mobiltelefonanschlüsse, bei gut 900 Millionen Einwohnern. Drei Viertel verwenden die Geräte für neue Leistungen: Das in Kenias Tech-Hub „Silicon Savannah“ mitentwickelte Mobil-Zahlungssystem M-Pesa revolutionierte das Leben vieler und wird zum Export-Hit. M-Farm macht Bauern durch Informationen über Marktpreise in Echtzeit weniger abhängig von Zwischenhändlern.

Konsumverzicht allein wird die Weltenrettung ebenso wenig bewerkstelligen wie reine Finanzhilfen für Türsteher Europas in Afrika. Die oft zitierte „Begegnung auf Augenhöhe“ darf auch Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit verlangen. Verbesserte Bildung ist für Standortattraktivität ebenso unabdingbar wie für ein langsameres Bevölkerungswachstum. Was uns in Europa aber nicht die politische und technische Mitverantwortung für globale Herausforderungen abnimmt: beim Klimaschutz, bei Regeln zu Steuer- und Kapitalflucht – gerade in Afrika ein Imperativ; oder beim modernen Dreieckshandel: Afrikanische Rohstoffe für asiatische Hochtechnologie für europäische Abnehmer, etwa beim Coltan- oder Kobalt-Abbau für den Welthunger nach Mobiltelefonen und leistungsstarken Batterien. Europas Konsumenten und die Zivilgesellschaft sind ebenfalls gefordert, durch Beharren auf Umwelt- und Verhaltenskodizes. Auch Asiens Unternehmen müssen mit ihren lokalen Zulieferern in die Pflicht genommen werden.

Isolation bringt selten Lösungen. In der Migrationsdebatte heben wir selbst innereuropäisch neue physische und mentale Gräben aus. Aber es braucht auch einen Abschied von Illusionen: Leicht wachsender Wohlstand bremst den Wanderungsdruck kaum ein. Europa hat das Recht und die Pflicht, Migration auch zu steuern.

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