Peter Rosei, Karst

Flüssig-süffige Zeitkritik

Panorama der Haltlosen

Peter Rosei und das Verlorensein

Wiener Zeitung, Juni 2018Das Wort „Vanitas“ klingt etwas altbacken: Doch die Beobachtung von Geltungsstreben, Prahlerei, eitlem Schein und Verderbtheit begleitet unsere kritischen Analysen von Politik und Gesellschaft. Dahinter lauert ein Gefühl von Vergeblichkeit.

Dieser Befund charakterisiert oft Figuren der Gesellschaftspanoramen von Peter Rosei, so auch in seinem jüngsten Roman, „Karst“. Durchwegs eher keine Sympathieträger, sind die Protagonisten aus Österreich, der Slowakei, Ungarn oder Slowenien viel unterwegs, hungrig nach Leben, Anerkennung und Emporkommen. Sie sind gewieft in Opportunismus und Schläue, doch kaum von großem Talent oder Raffinesse, und schon gar nicht von allzu hohen Moralansprüchen angekränkelt.

Da ist Jana, Tochter eines Kurbad-Hoteldirektors aus der Hohen Tatra. Gabor, ein junger ungarischer Pianist, befreit sie aus der postkommunistisch-ländlichen Enge, bringt sie nach Budapest. „Sie liebten einander bis zur Erschöpfung. Wie beglückend, wie zart und duftend, wie hart und wild, wie süß und bitter war sie, diese Liebe.“ Doch der berufliche Erfolg bleibt dem Musiker versagt. Jana verlässt ihn alsbald, um sich vom windigen Wiener Gstettner in der vermeintlich besseren Gesellschaft vorführen und in seiner Hietzinger Villa einquartieren zu lassen.

Gstettner macht seine internationalen Geschäfte zuerst mit Designerklamotten vom vorletzten Jahr, dann mit Vermittlung von Altenbetreuerinnen und schließlich mit Flüchtlingen. Entsprechend oft ist er nicht da. Was Jana ermöglicht, den alternden Kolumnisten Kalman kennenzulernen, dessen Ironie und Selbstreflexionen in Resten als Zynismus überleben.

„Was Sie gelegentlich abliefern“, sagt der Zeitungs-Herausgeber zu Kalman, „wirklich super! Sie überfordern die Leute nicht. Wer will das auch schon? Wer kann das brauchen?“ Das muss nicht jedem Leser gefallen.
Bei einem Venedig-Trip bandelt Kalman mit Tone an, dem Sohn armer Bauern aus dem slowenischen Karst, der sich an der Lagune als Kellner, Gigolo und Einbrecher in geparkte Touristenautos über Wasser hält. Nach einigen Kalamitäten flüchtet Tone zu Kalman nach Wien, was diesem Höhen und Qualen beschert. Und dann finden sich auch noch Jana und Tone.

Rosei fügt die Handlungsstränge versiert zusammen. Die Eigenschaften der Figuren sind mit scharfem Blick auf die für die Handlung wesentlichen Charakterzüge konzentriert. Erscheint Roseis schmaler Roman manchen als gesellschaftspolitische Versuchsanordnung in einer neoliberalen Welt, so ist „Karst“ weniger ein Thesenroman, sondern eher ironische, flüssig-süffige Zeitkritik vom Verlorensein. Die haltlosen Protagonisten scheitern weniger an soziopolitischen Umständen, vielmehr an sich selbst, ihren kleinen Erfolgen und Lügen. Und sie taumeln letztlich auf einen dramatischen Fluchtpunkt im Karst zu.

Peter Rosei
Karst
Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2018, 176 Seiten

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