Corona Tagebuch

Residenz Verlag

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29. April 2020

Lange haben wir die aufkeimenden Frühlingsgefühle gezähmt. Jetzt also nähert sich der langsame Ausstieg, oder Wiedereinstieg, um es positiv zu formulieren – in eine „neue Normalität“. Das klingt unangenehm nach „Schöne Neue Welt“. Wie wird sie aussehen, sich anfühlen? Zukunftsforscher sind ja in Krisenzeiten gefragte Leute. Allerdings erinnere ich mich kaum an tatsächlich wahr gewordene Prophezeiungen. „Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“: Egal ob von Mark Twain, Tucholsky, Churchill oder Karl Kraus – witzig und geistreich ist der Satz noch immer. Gewiss, in Zukunftsszenarien finden sich manchmal Vorhersagen, die tatsächlich eintreten. Corona hat keiner vorausgesehen. Ich mache das niemandem zum Vorwurf. Wir sind aus der Sorglosigkeit recht übergangslos in den Schrecken getaumelt.

Literarisch fallen mir ein paar Hellsichtige ein, Aldous Huxley eben, George Orwell, visionäre Romanciers, feinfühlige Seismographen unserer Befindlichkeit, unserer menschlichen Anlagen und Schwächen. „Eine Art intuitive Voraussicht, ein Überblick und Weitblick, der gute Romane zeitlos macht“, sagt eine Rezensentin über ein rezenteres Buch. Selbst habe ich mir nie Prognosen zugetraut, nicht über die Welt, nicht über mich selbst. Ich habe meine Kinder nicht vorausgesehen, meine Lebenspartnerin, meine Freunde, kaum meine Berufe, nicht einmal das Land, in dem ich einmal länger leben würde. Selbst meine nächtlichen Träume haben weniger mit meiner Zukunft zu tun als mit meiner Vergangenheit oder meiner Gegenwart; manchmal mit meinen Ängsten, Fehlern, Schwächen. Bestenfalls helfen mir meine Nachtträume, zu spüren, was ich vielleicht wegschiebe. Sie sind ein Dschungel-Biotop mit wenig ausgeleuchteten Sumpfstellen, selten wilden Tieren, gelegentlich bunten Papageien. Kristallkugeln für die Zeit „nach Corona“, mit den virulenten neuen und weiter drängenden alten Herausforderungen sind sie keine. Auch wenn Pessimismus manchmal realistisch erscheint – Sorgen kommen mir manchmal vor wie archaische Festungen: eine hohe Mauer, dahinter ein Abgrund. Möglichkeitsräume müssen wir uns auch selbst schaffen. Und da helfen mir auch manche Träume.

 

22. April 2020

Nach einem Monat Corona-Blog ist es für mich Zeit für eine kurze Reflexion. Es ist der erste Blog meines Lebens. Ich poste nicht auf Facebook, habe keinen Twitter- oder Instagram-account, war skeptisch, und bin es wohl noch immer. Wir lesen auf dieser Seite die guten Beiträge unserer Kolleginnen, Co-Autorinnen. Doch wer sonst folgt uns wohl, wo Netz & Feuilleton überlastet sind mit Covid-Beiträgen: von Mutmacherinnen bis zur Lust am Weltuntergang, von Spaßcartoons über Metaphern zum Sündenfall einer verunsicherten Wohlstandsgesellschaft bis zu Verschwörungsschwachsinn, der sich verbreitet wie das Virus. Oft erkennen wir alte religiöse oder narrative Muster.

Ja, oft sind auch ausgezeichnete Gedanken darunter, die mich noch abends, erschöpft, zum Nachdenken anregen. Was wird von den hervorragenden Einsichten bleiben, frage ich mich. Da noch meinen eigenen Senf dazugeben, der mir, müde vom Tag, oft abgeschmackt vorkommt? Ich spüre in mir eine Weigerung, schnellstmöglich metaphysische Erleuchtung zu teilen, momentane, vermeintliche Welterkenntnisse zum Besten zu geben. Wir leben „die Krise“ jetzt, oft emotional. Nachhaltig analysieren, beurteilen, hoffentlich auch literarisch umspinnen, durchdringen und vielleicht erfassen werden wir sie wohl erst viel später. Ich bewundere alle, die jetzt schon Corona-Bücher veröffentlichen, nicht nur als Blog, als „work in progress“, sondern als abgeschlossenes Werk. Fast täglich werden es mehr. Alle Achtung. Ich würde es nicht schaffen.

 

20. April 2020

Das Sein bestimmt das Bewusstsein: ein politisch aufgeladener und abgedroschener Satz. Doch wenn ich früher in einem Text über irgendein Thema einen Bezug auf Kinder las, empfand ich das manchmal als pathetisch. Heute bestimmen unsere Kinder mein eigenes Leben, manchmal etwas mehr, als mir lieb ist, gerade in diesen Wochen, in denen Masken nicht heitere Faschingsstimmung auslösen. „Wann haben wir unseren Kindern zuletzt gedankt?“, fragt mich meine Frau, nachdem sie Clemens Bergers letzten Blog-Beitrag gelesen hat. Hmm.
Begleitet mich ein Buch durch die Covid-Krise? Weder die jetzt vielzitierte „Pest“ von Camus, noch eine vermeintlich hellseherische Dystopie – schon allein aus Zeitgründen. Vielmehr könnte ich, seit unsere Jungs permanent zu Hause sind, aus drei Dutzend Kinderbüchern wählen. Saskia Hulas schmales, buntes Dschungelbuch «Bei drei auf den Bäumen» etwa ist eine wunderbare Anleitung nicht nur für verunsicherte Kinder, dass kein Schrecken Macht über uns haben muss.

15. April 2020

Sie sind mir nicht ganz unvertraut: Ausgangssperren. Als ganz junger Journalist waren sie für mich manchmal Nervenkitzel, sie waren ein Teil der Berichterstattung aus, gelinde gesagt, instabilen Krisengebieten. Wirklich persönlich betroffen war ich selten. Andere kosteten sie manchmal das Leben, Einheimische, die des Nachts von Maskierten abgeholt wurden; ohne dass es Zeugen gab; ohne dass sich die Familie irgendwo beschweren konnte. Auch später, bei der Arbeit in Afrika, waren Ausgangssperren ein lästiges Hindernis, zusätzlich zu anderen Hürden. Aber ich war privilegiert, und das Erlebte war wie ein spannendes Buch, das ich vorübergehend weglegen konnte, um müde, aber halbwegs ruhig einschlafen zu können.
Und heute? Unsere Ausgangsbeschränkungen nerven mich. Sie sind wirtschaftlich schädlich. Aber sie sind nicht lebensbedrohend. Im Gegenteil, im Moment zumindest können sie Leben retten. Gerade durch die Erinnerung an ganz andere Krisen bin ich mir bewusst, wie privilegiert wir sind, hier im Norden unserer großen kleinen Welt. Und dass Privilegien immer auch ein Stück Verantwortung mit sich bringen. In der Krise fangen wir an, zu horten. Und dann, uns gegenseitig zu helfen.

10. April 2020

Der Tourismus auf unserem Kontinent steht still, Hotels sind geschlossen. Hotel Mama-Papa hat geöffnet, „24/7, all inclusive“. Andere Eltern verstehen uns nur allzu gut. Manche unserer Freunde ohne (Klein)Kinder preisen die Verlangsamung: in Ruhe ein paar Gedanken über die weitere Zukunft spinnen, ein gutes Buch lesen. Schön. Aber kaum möglich mit Kleinen, die ohne Kindergarten, ohne Freunde sind, verunsichert, die viel streiten und volle Aufmerksamkeit einfordern. Von Entschleunigung spüren wir wenig, außer, wenn wir dann am Abend unseren Zustand, nämlich Erschöpfung, als Entschleunigung bezeichnen wollten.
Beschleunigung war die Metapher der Moderne: Dampfmaschine, Zug, Auto, Flugzeug, Globalisierung, High-speed Internet. Trotz so vieler Mutmaßungen und Prophezeiungen im Feuilleton: wohl niemand weiß, was nach der Krise kommt. Die „Reduzierung auf das Wesentliche“? Statt „schneller, höher, stärker“ plädierte der Südtiroler Grüne Alexander Langer schon vor 30 Jahren für „langsamer, tiefer, sanfter“. Alexander Langers Bruder Martin, pensionierter Intensivmediziner in Mailand, bleibt in einem Gespräch mit der Journalistin Susanne Barta skeptisch: „Ich fürchte, dass nach Corona das wirtschaftliche Nachholbedürfnis so groß sein wird, dass alles, was vielleicht gewonnen wurde, wieder wegfällt. Ich denke, alles wird sich auf die Wiederherstellung der Wirtschaft konzentrieren, nicht auf ihre Veränderung. Vielleicht ist es ja auch das Dringendste. Aber eine Systemveränderung, fürchte ich, ist vor allem ein intellektueller Wunsch.“

 

3. April 2020

Die Länder Europas fallen in eine Art Winterschlaf im Frühling. Als wäre der Shutdown so märchenhaft. Auch sonntägliche Stimmung will bei mir nicht wirklich aufkommen. Durchhalteparolen, ja, manchmal Kriegsrhetoriken, überdecken rasch unser Nachdenken über Freiheit versus Gesundheit, ähnlich wie zuvor das Abwägen von Freiheit versus Sicherheit – und damit Überwachung. Dabei ist im Moment nur eines sicher: Unsicherheit, und das wohl noch länger. Unsere Sehnsucht nach etwas Verlässlichem wird nicht gestillt. Wir vertrauen – noch – Expertinnen und demokratisch gewählten Entscheidungsträgern. Es geht nicht um ein Maximum, sondern um ein Optimum. Aber was ist das konkret? Allumfassende Kontrolle? Monate ohne Schule, ohne Kindergarten?
Nicht alles wird gut. Vieles wird anders. Die große Läuterung wird es wohl ebenso wenig sein wie der Untergang der Demokratie. Alles dazwischen ist Spekulation. Oder ein notwendiger, lebendiger Diskurs.

 

30. März 2020

Mein Blick streift – für kaum mehr ist mit den Kindern zu Hause derzeit Muße – den Feuilletonteil der Zeitungen: Gegenwarts- und Zukunftsdeuter haben Saison. Apokalyptische Prophezeiungen sind im Moment in der Minderzahl. Das erstaunt mich fast. Corona werden wir irgendwann halbwegs überstehen. Was kommt danach? Neue Bakterien, Viren, Seuchen? Kriege um Ressourcen? Eine kaum zu bewältigende Finanzkrise? Der befürchtete Klima-Kollaps? In unserer Suche nach Schuldigen werden wir bei uns selbst fündig: Wir werden für unsere grenzen-lose Maßlosigkeit gestraft. Das erscheint mir wie eine andere Art von Selbstüberschätzung in unserem globalen, überheizten Norden – wir sind an allen Übeln dieser Welt schuldig. Unsere eurozentristische Hybris ist bemerkenswert, selbst als Vexierbild: Auch in scheinbarer Verwerflichkeit fühlen wir uns noch herausragend.
Zwei Tage Frühling, Zuversicht, dann wieder Kühle. Negative Gedanken schleichen sich ein. Pandemie und Panik liegen im Wörterbuch nahe beieinander. Noch knapp davor rangiert Pan. Sein gekrümmter Hirtenstab symbolisiert die Natur der Dinge, ihren Kreislauf, die Wiederkehr der Jahreszeiten. Mit seiner Flöte vermittelt er Freude, an Musik und Fröhlichkeit. Seit 2012 hat die UNO den 20. März, meist Frühlingsbeginn auf der Nordhalbkugel, zum „Welttag des Glücks“ erklärt. Besonders das heurige Motto „Happiness for all, forever“ klingt wie ein – von abgehobenen Bürokraten ersonnener – Hohn. Dennoch, auf einem bescheidenen Niveau in diesem wechselhaften Frühling: das Lächeln einer hart arbeitenden Supermarkt-Kassiererin, die Freude unserer Kinder – auch ein Virus des Optimismus kann ansteckend sein. Den werden wir brauchen.

 

28. März 2020

Österreicherinnen werden heimgeholt. Syrien und Somalia dagegen wirken wieder ganz weit weg, zumindest jenseits unserer Wahrnehmung. Aber das Bedrohliche scheint herangerückt. Wir sind auf uns konzentriert, schwanken etwas zweifelnd zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen aufgezwungener Privatheit und einer sehr eingeschränkten Öffentlichkeit, gar Offenheit. Edward Hoppers Bilder werden allenthalben beschworen. Ein Gefühl der Fremdheit liegt über unserer eigenen, scheinbar menschenarmen Stadt. Wenige Passanten kommen mir entgegen, manche wechseln die Straßenseite, andere wenden sich ab oder ducken sich weg, wenige schauen argwöhnisch, als sei ich die unbekannte Bedrohung. Wieder andere lächeln, scheu oder verschwörerisch. Wir Menschen werden in der Krise nicht wirklich anders. Vielleicht verstärken sich ein paar Eigenschaften in uns, schlechte wie gute: Ur-Ängste, ein instinktiver(?) Egoismus, die banale Neigung zum Horten, wie auch zu Verschwörungstheorien, die insgeheime Suche nach vermeintlichen Brunnenvergiftern. Aber auch Freundlichkeit, Solidarität, Selbstlosigkeit. Angst kommt von Enge. Sind wir permanent auf der Hut vor dem Fremden, Bösen? Oder bleiben wir offen, neugierig? Hilfs-bereit?

 

25. März 2020

Ein kalter Grauschleier hat sich über den Frühling von letzter Woche gelegt, über das Gelb der Forsythien, über das Rosa der Magnolien, der Mandel- und Kirschblüten. Tschernobyl – wir erinnern uns wieder – geschah im Frühling. Die Bedrohung war unsichtbar, aber in uns spürbar. Spielen im Freien war nicht angesagt. Die Geschichte wiederholt sich nicht, höchstens als Echo in uns. Unsere Vorstellungskraft speist sich aus unseren Erfahrungen und Erinnerungen, und den schwer erklärbaren Anteilen – Liebe, Ängste, manchmal Hilflosigkeit. Mythen durchziehen die Geschichte der Menschheit seit Anbeginn. Das Unbeeinflussbare sollte gebannt, Geiseln und Plagen der Menschheit zumindest erklärbar werden. Corona ist nicht die Pest. Im besten Fall – wenn wir nicht mit Ökonomisch-Existentiellem beschäftigt sind – gibt es uns die Chance zum Innehalten, zum Nachdenken über unsere gelegentliche Hybris, unsere Anmaßung: Wir Menschen des 21. Jahrhunderts seien gefeit vor den epischen Widrigkeiten des Lebens, zumindest wir, die im selbst so wahrgenommen „hohen“ Norden leben und in den „tiefen“ Süden hinunterblicken. Die Fortschritte der Wissenschaft sind ein Segen, denke ich dieser Tage. Unser Leben dagegen ist und bleibt ein Zyklus. Der Frühling kommt zurück, dann auch Ostern. Vielleicht können wir danach wieder alle unbeschwerter hinaus, nicht nur die Ein-klein-bisschen-Gleicheren unter uns, mit dem eigenen Garten voll Tulpen und Pfingstrosen. Nicht alles lässt sich virtuell erledigen.

 

22. März 2020

Ausgangsbeschränkung. „Think global, act local,“ lautete der eingängige Spruch. Jetzt ist Abend. Wir sind erschöpft, von den Tagen mit den etwas verunsicherten Kindern, im Home Office, von der Bewältigung des Rest-Alltags. Kaum ein Gedanke über den eigenen Tellerrand, über die plötzlich geschlossenen Grenzen. Oder doch: Was wird aus unserer bislang scheinbar heilen Welt – die beim Blick hinaus, bei der Arbeit im globalen Süden natürlich nie heil war.
Kommt jetzt, im Bedürfnis nach Keim- und Virenfreiheit, das Ende der Globalisierung? Kommt „nach Corona“ statt des gescholtenen Neo-Liberalismus der Neo-Nationalismus? Ein erschreckendes Szenario: der Kampf Abgeschotteter gegen alle anderen Abgeschotteten; Impfstoffe, Medikamente, Schutzkleidung nur mehr für die „eigenen Leute“. Abschottung führt zu einer Abwärtsspirale, unvermeidliche Wirtschaftskrisen erhöhen die Sterblichkeit unter den ärmeren Menschen und Ländern – und die gehen nicht in die Tausende, sondern rasch in die Hunderttausende. Autorinnen mögen zu literarischen Dystopien angeregt sein. Doch nicht Pessimismus ist angesagt, auch keine Grenzschließungen, sondern „factfulness“, lokale Achtsamkeit, und globale Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer Impfstoffe, Netzwerke, Gedanken. Die offene Gesellschaft ist (heraus)gefordert.

 

21. März 2020

 

Auch ein egoistischer Gedanke eines Autors sei dieser Tage erlaubt: der an den eigenen Roman. Gerade erschienen, sehr ungewollt ganz zeitgerecht zum Beginn der laufenden Krise. Er sollte in Leipzig vorgestellt werden. Die Buchmesse ist abgesagt. Präsentationen in Österreich? Bis auf Weiteres: abgesagt. Auch das Feuilleton konzentriert sich – trotz etlicher erfreulicher Rückmeldungen – nun auf „die Krise“, auf die psychologischen, soziologischen, kulturellen Auswirkungen. Also ausweichen „ins Netz“? Nicht so einfach, wenn der Autor / die Autorin sich nicht so gerne selbst vermarktet. Und wenn „die Krise“ vorbei ist, kommen die nächsten Neuerscheinungen. Vielleicht sind ein paar neue dystopische Romane dabei – die haben dann sicher Konjunktur. Für das eigene Buch: Pech gehabt. Doch lamentieren hilft nichts. Unzählige Menschen bangen unmittelbarer um ihre Existenz, die in unserem noch immer halbwegs sicheren Europa zumindest abgefedert werden kann. In anderen, durch die eigene Arbeit vertrauten Weltgegenden haben die Menschen kein funktionierendes Netz, oft nicht einmal zum Fischen.

 

20. März 2020

Entschleunigung ist angesagt, ein schönes Wort, Leben im Standby-Modus, maximal Home Office? Anglizismen. In der Frühlingssonne in der Hängematte liegen, ein gutes Buch einer geschätzten Verlagskollegin in den Händen, am Tablet zwischendurch das Wichtigste erledigen, sich ab und zu den Bauch kratzen? Wie schön, der Gedanke … mit zwei Kindern im lebhaftesten Kindergartenalter. Als Vater begrüße ich die Schließung von Schulen und Kindergärten bis Ostern ausdrücklich – dennoch, wie soll Home office mit Kindern gelingen? Von aufkommendem Lagerkoller bei und mit Kindern zu schreiben, ist beim Gedanken an Moria, Dadaab oder Zaatari frivol. Aber dennoch – die Kinder wollen raus. Auch ohne Spielgefährten, und trotz geschlossener Spielplätze. Ein sonniger Tag – also zum nahe gelegenen Wiener Augarten – schön Abstand halten! Dort stehen wir vor verschlossenen Toren. „Warum?“, fragen die Kinder, „warum?“ Ja, weshalb eigentlich? Spazierengehen ist doch noch erlaubt. Ist die Virusdichte im riesigen Augarten höher als auf der Straße oder an der Supermarkt-Kassa? Vor dem Parkeingang an der Mauer sitzen vereinzelte Paare in der Frühlingssonne, manche lesen, ein Vater spielt mit seiner Tochter Federball, weit weg von den anderen. Bis ein Polizeiwagen anrollt, mit vier Beamt(inn)en voll besetzt. Per Megafon werden alle Sitzenden und die Federball-Spieler aufgefordert, wegzugehen. Ich wage zu fragen, „warum?“ Die Antwort der Uniformierten aus dem Wagen: „Spazierengehen ist erlaubt, sonst nichts“. Also kein Federball, kein Sitzen. Stehenbleiben auch nicht. Abstand. Verstand? Das Leben geht weiter.

 

 

19. März 2020

Ein Blick in die Schlagzeilen, in der Verdichtung unseres Zeitgefühls: Amazon will 100 000 zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Good news? Arbeitsplätze? Schöne neue Welt. Was bedeutet das für den stationären Handel, die Buchhändler(innen) „ums Eck“, für deren Arbeit, deren Existenz, für unsere unmittelbare Lebenswelt? Auch da ist Solidarität angesagt – Bestellung bei den Buchhändlerinnen, soweit wie möglich: viele nehmen Bestellungen entgegen, versenden rasch, versuchen, ökonomisch zu überleben. Wann brauchen wir selbst Hilfe? Nicht erst im globalen Shutdown, der uns in Atem hält oder ihn uns nimmt. Vielleicht stärkt eine Krise das Bewusstsein und Gefühl, dass wir aufeinander angewiesen sind. Abstand sei mit Corona die zeitgemäße Form der Zuwendung. Die WHO dagegen hatte schon vor längerer Zeit 2020 zum „Year of the Nurse“ ausgerufen. „Care-Arbeit“, oft am Limit, meist un(ter)bezahlte Frauenarbeit, in Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten, in den Familien. Banken sind „systemrelevant“. Der „Rest“ nicht.

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