Manfred Koch: Brot und Spiele

Sport als Religion

Manfred Koch: Brot und Spiele

Wiener Zeitung, Juli 2010

„Gott ist tot“ lautete vor hundert Jahren Nietzsches Diagnose. „Gott ist rund“, ironisiert der Kulturkritiker der Gegenwart.

Eine Nobelpreisträgerin verteufelte 1998 theatralisch den Sport – eines ihrer selbst erklärten Hassthemen – als einzig heute noch sanktionierter Form von Gewalt, ja als nationale Hetze und Kriegsersatz. Fundierter, aber auch heiterer als Elfriede Jelinek in ihren Rundumschlägen geht der Kulturhistoriker Manfred Koch ans Werk.

Doch zum Anfang, denn des Autors Betrachtungen beginnen, wie der Name des klugen Essays andeutet, bei den durchaus blutrünstigen Gladiatorenkämpfen und Wagenrennen der Antike. „Brot und Spiele“ ist auch das Losungswort aller Kritiker, die „die progressive Verblödung der Gesellschaft durch seichte Massenvergnügen“ beklagen. Für Koch ist die Debatte ebenso alt wie der Sport als Massenphänomen: Schon Juvenal habe beklagt, dass die wahren Götter in Vergessenheit gerieten, und Tertullian fasste in „de spectaculis“ bedenkliche Begleiterscheinungen der Wagenrennen zusammen: Die Römer frönten, in Vorwegnahme moderner Eventkultur, der Heldenverehrung und dem Fankult – mit beträchtlichem Geldaufwand und unter gelegentlicher Massenpsychose des Publikums. Vom antiken Dionysoskult bis heute konnte das Aufgehen im Kollektiv ekstatische Züge annehmen, wo selbst Hierarchien scheinbar aufgehoben sind.

Koch spannt den Bogen seiner Ausführungen weit, und manchmal fast über Gebühr. Er erwähnt Wagner, Nietzsche, die Berührung mit dem Rauschgott, springt dann zum Bier als Kultgetränk des nordischen Fußballs – und ist damit wieder bei seinem Lieblingsthema angelangt: Für den bekennenden Fußballfan steht das runde Leder, „der runde Gott“, im Mittelpunkt. Manfred Koch zitiert ausführlich Nick Hornby, der in „Ballfieber“, dem erfolgreichsten Fußballroman, die Rituale der Fanwerdung beschrieb, mit all den Stationen der Heiligenverehrung vor Fanbildchen. Wobei die Übergänge zwischen profanen Sportfesten und religiösen Feiern wieder zunehmend fließend werden – siehe Inszenierungen von Kirchentagen als Massenspektakel oder das Bad eines Papstes in der ozeanischen Menge.

Die säkularisierte Gesellschaft der Moderne leide unter einem Mangel an verbindlichen Feiern, an Ritualen, die das ganze Kollektiv zusammenschließen, meint Koch. Wobei er die stets drohende Verbindung von Ritualisierung und Gewaltlust bis zu Exzessen nicht übersieht. Sport könne tatsächlich Auslöser von Gewalt sein – wie etwa beim legendären „Fußballkrieg“ zwischen Honduras und El Salvador 1969, der sechstausend Tote und 15 000 Verwundete forderte. Die wahren Ursachen solcher Auseinandersetzungen sind aber meist wirtschaftlicher Natur, stellt Koch klar. Und er erteilt damit auch dem Sport eine fast generelle Absolution: Das ursprüngliche Vergnügen daran brauche keine Rechtfertigung.

Augenblicksgötter, Doping, Medienmacht – der vom Autor angerissenen Themen sind viele. Der hundertseitige Essay ist kurzweilig – und fast zu kurz: während im knappen Kapitel „Kathedralen des Körpers“ der Weg vom klassischen Griechenland über Kleist und Hölderlin zu modernen Fitnesscentern und Health-Magazinen skizziert wird, bleibt die Überhöhung des Körperlichen in den Ideologien des 20. Jahrhunderts ebenso auf der Strecke wie die von Nobelpreisträger Elias Canetti dargelegten Aspekte von Masse und Macht.

Koch möchte „dem Sport die Gebrechen der Gesellschaft nicht noch einmal vorrechnen“. Sportsfreunde können erleichtert sein. Insgesamt ist “Brot und Spiele” ein geistreicher Essay und so abwechslungsreiche wie anregende Lektüre.

Cover Brot und Spiele

Manfred Koch
Brot und Spiele
Über die Religion des Sports
103 Seiten
Wallstein Verlag Göttingen 2010

 

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